Tipps und Urteile

Tipp bei drohender Kündigung:
Antrag auf Feststellung der Behinderung und Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen parallel stellen (Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 01.03.2007, Aktenzeichen 2 AZR 217/06 und vom 31.07.2014, Aktenzeichen 2 AZR 434/13)

Nach dem erstgenannten Urteil des Bundesarbeitsgerichts genießen schwerbehinderte Menschen oder mit schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Menschen den besonderen Kündigungsschutz aus § 168 SGB IX nur, wenn sie die Feststellung der Schwerbehinderung bzw. die Anerkennung der Gleichstellung 3 Wochen vor Zugang der Kündigung beantragt haben.

Nach dem zweitgenannten Urteil können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Feststellung der Behinderung gemäß § 152 Abs. 1 SGB 9 und die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen gemäß § 151 Abs. 2 SGB IX von Anfang an parallel beantragen.

Vorteil einer parallellen Beantragung:
Diesen Tipp halte ich für interessant zum Beispiel in dem Fall, dass bereits ein bEM-Verfahren läuft, die Kündigung droht und der Arbeitnehmer einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gestellt hat.
Die Feststellung des Grades der Behinderung ist beim Integrationsamt zu stellen, der Antrag auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen bei der Agentur für Arbeit.
Häufig ist bei Stellung des Antrags auf Feststellung der Behinderung noch ungewiss, wie hoch der Grad der Behinderung (GdB) festgestellt werden wird. Als schwerbehindert gilt man erst ab einem GdB von 50. Ab einem GdB von 30 kann der Antrag auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen gestellt werden. Sollte das Integrationsamt einen GdB unter 50 feststellen, so hätten Betroffene keinen Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen. Es wäre aber immer noch die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen möglich, wenn ein GdB von 30 oder mehr festgestellt wäre. Ist der Antrag auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen parallel gestellt, so ist ein lückenloser Kündigungsschutz gewährleistet.
Man sollte mit der Stellung des Antrags auf Gleichstellung nicht warten, bis das Integrationsamt den GdB festgestellt hat. Die Feststellung des Grades der Behinderung könnte sich beispielsweise stark verzögern, wenn Ärzte, die das Integrationsamt zur Stellungnahme aufgefordert, sich damit viel Zeit lassen. Wenn dann ein GdB unter 50 festgestellt und eine Kündigung ausgesprochen wird und es ist nicht innerhalb von 3 Wochen vor Zugang der Kündigung schon der Antrag auf Gleichstellung gestellt worden, könnte die Kündigung wirksam werden.

Sehr wichtiger Tipp dazu:
Der Arbeitnehmer muss den Arbeitgeber innerhalb von 3 Wochen nach Zugang des Kündigungsschreibens darüber informieren, dass er einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft oder auf Gleichstellung gestellt hat bzw. dass er schwer behindert oder gleichgestellt ist.
Hält er diese Dreiwochenfrist nicht ein, kann er sich nicht mehr auf den Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen berufen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.09.2016, 2 AZR 700/15).

Hier noch ein interessanter Tipp zu telefonischer Antragsstellung, wenn die Zeit sehr drängt:
https://www.anwalt-fuer-arbeitsrecht-bremen.de/2019/kuendigungsschutz-fuer-schwerbehinderte

Über den Teilzeitanspruch für schwerbehinderte Menschen können Sie sich hier informieren:
https://www.anwalt-fuer-arbeitsrecht-bremen.de/tipps-und-urteile/2016/teilzeitanspruch-fuer-schwerbehinderte-menschen
(eingestellt am 08.05.2023)