Kündigung während Krankheit

Darf der Arbeitgeber während der Krankheit kündigen?

Auch während einer Erkrankung des Arbeitnehmers darf das Arbeitsverhältnis gekündigt werden.

Damit ist aber noch lange nicht gesagt, dass die Kündigung auch wirksam ist. Es ist nur eine Aussage zu der Frage, ob die Kündigung allein wegen Krankheit unwirksam ist.

Die Wirksamkeit von krankheitsbedingten Kündigungen wird, wenn für das Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz gilt, nach dem Kündigungsschutzgesetz beurteilt.

In Betriebsräteseminaren und Einzelberatungen wird häufig die Frage gestellt, welche Zeitgrenzen für Krankheitszeiten bzw. Arbeitsunfähigkeitszeiten gelten. Also, wie lange darf man krankgeschrieben sein, bevor man mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen muss?

Nach welcher Krankheitsdauer darf gekündigt werden?
Diese Frage lässt sich nicht schematisch beantworten, weil nach der Rechtsprechung zu krankheitsbedingten Kündigungen eine Vielzahl von Kriterien hineinspielt. Um Ihrem verständlichen Bedürfnis nach einer zeitlichen Orientierung entgegenzukommen, will ich Ihnen – bei aller gebotenen Vorsicht – eine Grundeinschätzung geben. Es wird in der Rechtsprechung unterschieden zwischen Kündigung wegen häufiger kurzzeitiger Erkrankungen und Kündigung wegen Langzeiterkrankungen.

Häufige kurzzeitige Erkrankungen, nach welcher Krankheitsdauer darf gekündigt werden? Fehlzeitenquoten von 6 Wochen im Durchschnitt der letzten 3 Jahre vor Ausspruch der Kündigung sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in der Regel unerheblich (BAG, Urteil vom 24.04.2005, 2 AZR 514/04 und Urteil vom 08.11.2007, 2 AZR 292/06).
Bis zu dieser Quote besteht also auch bei häufigen Kurzzeiterkrankungen in der Regel nur geringe Gefahr. Etwas anderes kann nur gelten, wenn es besondere „krankheitsbedingte“ Betriebsablaufstörungen gibt und diese nicht durch mögliche Überbrückungsmaßnahmen vermieden werden können. Das kann etwa Einstellung einer Ersatzkraft oder das Vorhalten einer Personalreserve beim Arbeitgeber sein.

Langzeiterkrankung, nach welcher Krankheitsdauer darf gekündigt werden?
Bei Langzeiterkrankungen ist die kritische Grenze auch nicht völlig klar zu benennen. In einem Urteil vom 20.11.2014 (2 AZR 664/13) hat das Bundesarbeitsgericht eine Negativprognose angenommen, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung mit einer positiven Entwicklung der Gesundheit des erkrankten Arbeitnehmers innerhalb der nächsten 24 Monate nicht gerechnet werden kann.

Die oben genannten Zeiteinschätzungen nehmen Sie bitte nicht schematisch auf, sondern als grobe Orientierungen!

Wann ist eine krankheitsbedingte Kündigung rechtmäßig?
Krankheitsbedingte Kündigungen müssen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in 3 Stufen geprüft werden:

  • Zunächst muss geprüft werden, ob im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen (negative Zukunftsprognose).
  • Die für die Zukunft prognostizierten Fehlzeiten müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen.
  • Es muss eine Interessenabwägung vorgenommen werden, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise hingenommen werden müssen.
  1. Negative Zukunftsprognose
    Wie schon erwähnt: Bei Fehlzeitenquoten von mehr als 6 Wochen könnte eine negative Zukunftsprognose vorliegen. Aber diesbezüglich wird auch geprüft, ob es sich um Erkrankungen handelt, die „prognosefähig“ sind. Ausgeheilte Erkrankungen, wie zum Beispiel ausgeheilte Knochenbrüche oder Zerrungen haben keine Aussagekraft für eine Wiederholungsgefahr. Ebenso Erkrankungen, die auf einmaligen Ereignissen wie zum Beispiel einem Unfall beruhen und ausgeheilt sind.
    Wenn sich hingegen aus der Art der Erkrankungen ergibt, dass diese auf einem noch nicht ausgeheilten Grundleiden beruhen (chronische Erkrankungen), können diese zu einer negativen Prognose führen.
    Bei Langzeiterkrankungen, oben ebenfalls bereits erwähnt, hat das Bundesarbeitsgericht eine Negativprognose angenommen, wenn vor Ausspruch der Kündigung in den nächsten 24 Monaten nicht mit einer Verbesserung des Gesundheitszustands des Arbeitnehmers zu rechnen ist.
     
  2. Erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen
    Eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen wird angenommen, wenn es zu Betriebsablaufstörungen kommt in Form von Störungen des Arbeitsablaufs, zu Produktionsausfall oder dem Verlust von Kundenaufträgen, wenn Ersatzpersonal nicht zu beschaffen ist (BAG, Urteil vom 02.11.1983, 7 AZR 272/82). Außerordentlich hohe, 6 Wochen im Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten können ein wirtschaftlicher Grund sein (BAG, Urteil vom 10.11.2005, 2 AZR 44/05). Arbeitgeber, die in der Regel nicht mehr als 30 Arbeitnehmer beschäftigen, erhalten nach § 1 des Aufwendungsausgleichsgesetzes 80 % ihrer Entgeltfortzahlungskosten erstattet. Das ist bei der Prüfung eines wirtschaftlichen Grundes auch zu berücksichtigen.
  3.  Was ist bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen? 
    Die Interessenabwägung hat ein hohes Gewicht. Es muss geprüft werden, ob die durch die Krankheit verursachte Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen so groß ist, dass sie im Einzelfall vom Arbeitgeber noch hingenommen werden muss oder ob sie bereits auch bei Betrachtung der Sozialdaten des Arbeitnehmers ein unzumutbares Maß erreicht hat (BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 664/13).

Zugunsten des Arbeitnehmers muss insbesondere berücksichtigt werden:

  • Dauer der Betriebszugehörigkeit;
  • Dauer des bisher ungestörten Verlaufs des Arbeitsverhältnisses;
  • Ausübung einer besonders gesundheitsbelastenden Tätigkeit im Betrieb;
  • unverschuldeter Arbeitsunfall im Betrieb;
  • vom Arbeitgeber verschuldete Arbeitsunfähigkeit; Lesen Sie dazu auch: leidensgerechter Arbeitsplatz
  • bei älteren Arbeitnehmern ihr Alter. Denn der Arbeitgeber muss altersbedingte Beeinträchtigungen in angemessenem Rahmen akzeptieren;
  • Familienstand und Chancen auf dem Arbeitsmarkt;
  • Zumutbarkeit von Überbrückungsmaßnahmen des Arbeitgebers, beispielsweise durch Überstunden oder befristete Einstellung von Ersatzkräften;
  • Möglichkeit der Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz;
  • wirtschaftliche Belastbarkeit des Arbeitgebers;
  • Nichtdurchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagement.

Das betriebliche Eingliederungsmanagement muss der Arbeitgeber nicht durchführen. Nach dem Gesetz treffen ihn für das Unterlassen des betrieblichen Eingliederungsmanagements keine unmittelbaren Sanktionen.
Wenn der Arbeitgeber aber dem Arbeitnehmer kein betriebliches Eingliederungsmanagement gemäß § 167 Abs. 2 SGB 9 angeboten hat, muss er sich im Fall einer krankheitsbedingten Kündigung vorhalten lassen, nicht entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gehandelt und vorschnell gekündigt zu haben (BAG, Urteil vom 19.05.2010, 5 AZR 162/09). Mithilfe des betrieblichen Eingliederungsmanagements können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gefunden werden, wie zum Beispiel die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz.
Lesen Sie dazu auch: Betriebliches Eingliederungsmanagement

Bewertung/Empfehlung
Die krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist ein sehr komplexes Thema. Wie zu jeder Kündigung empfehle ich Ihnen insbesondere zu der krankheitsbedingten Kündigung, sich dazu unbedingt beraten zu lassen. Durch meine jahrzehntelange Tätigkeit als Jurist, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bearbeitung einer großen Anzahl von Kündigungsschutzfällen und Berater von Arbeitnehmern und Betriebsräten verfüge ich über große Erfahrung auf diesem Gebiet, die ich für Sie nutze.
Und beachten Sie bitte: auch für die krankheitsbedingte Kündigung gilt, dass eine Klage unter allen Umständen innerhalb von 3 Wochen nach Zugang des Kündigungsschreibens bei einem Arbeitsgericht eingereicht sein muss.

Lesen Sie auch: Betriebliches Eingliederungsmanagement und Kündigung wegen Krankheit