Tipps und Urteile

Wird durch „Corona-Verordnung“ die Schließung eines Tanzclubs angeordnet, muss die Arbeitgeberin die Vergütung auch bei behördlich angeordneter Schließung weiter zahlen. (Arbeitsgericht Mannheim, Urteil vom 25.03.2021, Aktenzeichen 8 Ca 409/20)
Es ging um ein sehr kleines Lokal, Tanzfläche 20 m² und Gastraum 48 m². Der Betrieb der Arbeitgeber ist seit dem 14.03.2020 geschlossen. Die Arbeitgeber beschäftigten 9 teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter als geringfügig Beschäftigte und einen vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, der als Betriebsleiter tätig war. Der Kläger war einer der teilzeitbeschäftigten Mitarbeiter. Er war an den Wochenenden in dem Tanzclub tätig. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde mit Schreiben vom 22.09.2020 gekündigt. Seit Mitte März 2020 hatten die Arbeitgeber keine Vergütung mehr an den Kläger gezahlt. Diese machte er mit der Klage geltend.
Das Gericht stellte fest, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis zum 28.02.2021 beendet hatte (aus Gründen, die ich hier nicht vertiefe – jedenfalls galt wegen der geringen Arbeitnehmerzahl das Kündigungsschutzgesetz nicht).
Zudem verurteilte es die Arbeitgeber zur Zahlung der Vergütung für den Zeitraum vom 20.03.2020 bis zum 31.12.2020 (für den danach liegenden Zeitraum bis zum 28.02.2021 hatte der Kläger keine Vergütung eingeklagt).
Die Arbeitgeber hatten sich damit verteidigt, dass sie keinen Annahmeverzugslohn schuldeten, weil es sich bei der Corona-Pandemie um eine Jahrhundertkatastrophe von einzigartigem Ausmaß und damit höhere Gewalt handele. Dies Ereignis sprenge jede Form von Vorhersehbarkeit und stelle damit kein Betriebsrisiko der Beklagten dar.

Das Arbeitsgericht vertrat eine andere Auffassung. Es ging davon aus, dass sich hier ein Betriebsrisiko der Arbeitgeber und nicht ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht hätte.
Die Betriebsschließung sei nicht aufgrund der Pandemie erfolgt. Es sei nicht sie, die die Fortsetzung des Betriebs unmöglich mache, sondern „die politische Entscheidung, Unternehmungen zu untersagen, deren wirtschaftliche Betätigung entweder auf viele Kunden zielt oder die so kundennah arbeiten, dass Infektionsgefahr besteht.“ Eine gesundheitspolitische behördliche Entscheidung sei vorgenommen worden, um „die Epidemie nicht einfach „auszusitzen“ und zahlreiche Todesfälle in Kauf zu nehmen, sondern Betriebe mit einer bestimmten Struktur einzuschränken oder stillzulegen“ Damit verwirkliche sich ein Betriebsrisiko. Dies ergebe sich daraus, dass das Geschäft der Arbeitgeber auf Kundenverkehr bzw. eine große Anzahl von Besuchern ausgerichtet sei. Auch den Umstand, dass das Lokal sehr klein ist, wertete das Gericht als besonderes Infektionsrisiko, das sich aus dem Geschäftsmodell der Arbeitgeber ergab und dem Betriebsrisiko zuzurechnen sei.
Die Pandemie sei auch kein vollkommen unvorhergesehenes Ereignis. Das Betriebsrisiko könne durch Versicherungen abgedeckt und durch Rücklagen einkalkuliert werden.

Erläuterung / Bewertung:
Die sogenannte „Betriebsrisikolehre“ wurde schon vom Reichsgericht entwickelt, vom Bundesarbeitsgericht fortentwickelt und vom Gesetzgeber in § 615 BGB gesetzlich geregelt.
Es geht darum, wer das Risiko dafür tragen muss, wenn der Arbeitnehmer wegen einer Störung seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann. Das Bundesarbeitsgericht beurteilt das nach der Beherrschbarkeit von Risiken. Sind „im Betrieb liegende Gründe“ Ursache des Arbeitsausfalls, so trägt der Arbeitgeber das Risiko. Ist es ein allgemeines Lebensrisiko, so trägt es der Arbeitnehmer.
Typische im Betrieb liegende Gründe sind beispielsweise Defekte von Maschinen oder anderen betrieblich genutzten Anlagen. Dazu zählt das Bundesarbeitsgericht auch Störungen, bei denen von außen auf typische Betriebsmittel eingewirkt wird, die sich aus der Sicht des Arbeitgebers als höhere Gewalt darstellen, zum Beispiel Brände, Überschwemmungen, Erdbeben.
Der Arbeitgeber könne sich aber gegen solche Gefahren weitgehend versichern.
Gerade der vorliegende Fall bereitet Schwierigkeiten, welcher der beiden Sphären das Risiko zuzuordnen ist. Das Arbeitsgericht Mannheim hat diese Frage zulasten des Arbeitgebers entschieden. Es hat auch festgestellt, dass Ursache der Betriebsschließung nicht unmittelbar die Pandemie, sondern eine behördliche Anordnung war, die auf die oben schon erwähnte gesundheitspolitische Erwägung zurückgeht.

Gastronomen, die – wie in der Presse bekannt geworden ist – mit ihren Versicherern um Ersatz des durch den Betriebsausfall entstandenen Schadens auch bei den Gerichten kämpfen mussten, wird das sicher realitätsfern erscheinen.
Trotzdem halte ich die Entscheidung für rechtsdogmatisch richtig. Tröstlich ist, dass der Gesetzgeber über das Konkursausfallgeld eine Möglichkeit zur Abmilderung der extremen Folgen für die Arbeitgeber geschaffen hat (das ist gleichzeitig auch ein Zeichen dafür, dass der Gesetzgeber das Risiko eher bei der Arbeitgeberseite sieht).
Für die Arbeitgeber des vorliegenden Falls wiederum dürfte das kein Trost sein. Denn für die geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer gibt es kein Konkursausfallgeld, weil für ein solches Arbeitsverhältnis keine Versicherungsleistungen an die Bundesagentur für Arbeit abgeführt werden.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat einen ähnlichen Fall zugunsten des Klägers entschieden (Urteil vom 30.03.3021, Aktenzeichen 8 Sa 674/20). Eine Begründung des Urteils ist zur Zeit noch nicht veröffentlicht. Der Homepage der Justiz in Nordrhein-Westfalen ist zu entnehmen, dass das Landesarbeitsgericht Düsseldorf die Revision gegen das Urteil zugelassen hat. So gehe ich davon aus, dass sich bald auch das Bundesarbeitsgericht mit den vergütungsrechtlichen Folgen der Pandemie beschäftigen wird.

Tipp:
Falls Ihr Arbeitgeber bedingt durch Corona die Vergütung nicht zahlt, empfiehlt es sich, diese geltend zu machen. Arbeitnehmer in der Gastronomie sollten beachten, dass häufig allgemeinverbindliche Tarifverträge mit Ausschlussfristen gelten. Man darf also mit der Geltendmachung von Forderungen nicht lange warten.
Auch in anderen Branchen und auch dort, wo es keine Tarifverträge gibt, können Ausschlussfristen gelten.

Sieh auch: Ausschlussklauseln, Verfallklauseln, Ausschlussfristen, Verfallfristen in Arbeitsverträgen