Tipps und Urteile

„Kein neues Zustimmungsverfahren ohne Aufhebung der bisherigen Versetzung.“
Wenn ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer ohne Zustimmung des Betriebsrats versetzt, kann ein neues Zustimmungsverfahren erst eingeleitet werden, nachdem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zurückversetzt hat. Ohne eine Zurückversetzung kann ein Zustimmungsverfahren gemäß § 99 BetrVG nicht eingeleitet werden. (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.10.2022, Aktenzeichen 1 ABR 18/21)

Hier hatte die Arbeitgeberin ihre Betriebsorganisation umstrukturiert. Der bisherige Leiter der Abteilung Zielgruppenintelligenz wurde ab dem 25.05.2018 zum Leiter der Abteilung Quality Services Dialogmarketing, die der Arbeitgeber neu eingerichtet hatte, gemacht.
Der Betriebsrat war vom Arbeitgeber vor der Versetzung nicht beteiligt worden. Auf seinen Antrag hin gab das Arbeitsgericht der Arbeitgeberin auf, die Maßnahme aufzuheben. Die Arbeitgeberin legte gegen den Beschluss Beschwerde ein. Später erklärte sie dem Betriebsrat am 10.01.2020, dass sie die Versetzung zurücknehme. Dies Verfahren vor dem Arbeitsgericht wurde für erledigt erklärt.
Ebenfalls am 10.01.2020 leitete die Arbeitgeberin beim Betriebsrat ein neues Zustimmungsverfahren zur Versetzung des Leiters „Zielgruppenintelligenz“ auf die Stelle als Leiter der Abteilung „Quality Services Dialogmarketing“ ein. Sie erklärte dem Betriebsrat, sie werde die Versetzung jetzt gemäß § 100 Abs. 1 BetrVG vorläufig durchführen.
Ergebnis der Aktion war, dass der versetzte Arbeitnehmer ab dem 25.05.2018 nahtlos Leiter der Abteilung Quality Services Dialogmarketing blieb. Er war nicht wieder als Leiter der Abteilung Zielgruppenintelligenz zurückversetzt worden.
Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung zu dieser Maßnahme. Die Arbeitgeberin leitete daraufhin ein Verfahren auf Zustimmungsersetzung gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG ein.
Die Arbeitgeberin erklärte, es handele sich bei der Maßnahme vom 10.01.2020 um eine neue Versetzung. Der Betriebsrat berief sich darauf, dass immer noch dieselbe Versetzung vorliege, zu der seine Zustimmung nicht mehr gerichtlich ersetzt werden könne.

Das Landesarbeitsgericht Köln entschied zugunsten der Arbeitgeberin. Das Bundesarbeitsgericht hingegen zugunsten des Betriebsrats. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts war das Zustimmungsverfahren vom 10.01.2020 nicht „vor“ der geplanten Maßnahme eingeleitet worden.
Aus Sinn und Zweck von § 101 BetrVG folge, dass eine rein formale Abstandnahme „auf dem Papier“ nicht ausreiche. Der Arbeitgeber müsse die dem Betriebsverfassungsgesetz widersprechende Maßnahme tatsächlich aufheben, bevor er sie neu einleite.
Die Arbeitgeberin habe, so das Bundesarbeitsgericht, die im Mai 2018 durchgeführte Versetzung nie tatsächlich aufgehoben. Seine Beschäftigung auf dem neuen Arbeitsplatz sei nicht unterbrochen worden. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts hätte die Beschäftigung dort „zumindest vorübergehend bis zur Einleitung eines etwaigen neuen Beteiligungsverfahrens nach § 99 Abs. 1, § 100 Abs. 2 BetrVG“ unterbleiben müssen.

Bewertung / Tipp:
In dieser Entscheidung stärkt das Bundesarbeitsgericht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 99 Betriebsverfassungsgesetz. Die Entscheidung stärkt die Relevanz des Zustimmungsverfahrens. Sie verhindert, dass die Norm „entschärft“ wird, indem sie als reine Formvorschrift behandelt wird.
Auch die Entscheidung vom 11.10.2022, die ebenfalls vom 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts gefällt wurde (Aktenzeichen 1 ABR 16/21), ging bezüglich § 93 BetrVG in eine ähnliche Richtung.
https://www.anwalt-fuer-arbeitsrecht-bremen.de/tipps-und-urteile/2023/ausschreibung-von-arbeitsplaetzen-im-sinne-von-93-betriebsverfassungsgesetz
(eingestellt am 22.05.2023)