Tipps und Urteile 2019

Zu einer ordnungsgemäßen Einladung eines Arbeitnehmers zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement gehört auch, dass der Arbeitnehmer im Einladungsschreiben darauf hingewiesen wird, dass die Rehabilitationsträger hinzugezogen werden, sofern Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen. (Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 13.08.2018, 16 Sa 1466/17)

Inhalt der Entscheidung:
Folgende Kernsätze lassen sich aus dem Urteil entnehmen. Diese gehen auf Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zurück:

Der Arbeitgeber muss von sich aus die Initiative zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) ergreifen.
Dafür muss er gemäß § 167 Abs. 2 Satz 3 SGB IX den betroffenen Arbeitnehmer darüber aufklären, was die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagement sind und welche Daten dafür in welchem Umfang erhoben und verwendet werden.
Die Darstellung der Ziele muss inhaltlich über die bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgehen.
Ziele sind die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden kann, wie erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann und wie der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Wichtig ist, dass dem Arbeitnehmer verdeutlicht wird, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dass ein ergebnisoffenes Verfahren geführt werden soll, in das er sich selbst auch mit Vorschlägen einbringen kann.
Dem Arbeitnehmer muss ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erteilt werden. Darin muss klargestellt werden, dass nur Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein betriebliches Eingliederungsmanagement mit dem Ziel der Gesundung und Gesunderhaltung des Arbeitnehmers durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss erklärt werden, welche Krankheitsdaten erhoben und gespeichert werden und inwieweit sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden.
Außerdem muss der Arbeitnehmer darauf hingewiesen werden, dass gemäß § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX die Rehabilitationsträger hinzugezogen werden, sofern Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen.
Nur bei einer so gestalteten Unterrichtung kann man von einem Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ausgehen.

In diesem Fall hatte das Landesarbeitsgericht Frankfurt bemängelt, dass das Einladungsschreiben der Arbeitgeberin zu dem betrieblichen Eingliederungsmanagement keinen Hinweis auf die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Rehabilitationsträger enthalten hatte, falls Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen (§ 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX).

Unabhängig von der nicht gesetzmäßigen Einladung und Information der Arbeitgeberin sah das Gericht die Kündigung als unwirksam an: tatsächlich hatte es nach der Einladung der Arbeitgeberin 4 Besprechungstermine gegeben. Alle Beteiligten einschließlich der Klägerin seien sich einig gewesen, dass nach dem letzten Gespräch am 30.11.2016 das Verfahren über die betriebliche Eingliederung abgeschlossen sei. Doch die Arbeitgeberin hatte zu keinem dieser Termine die Rehabilitationsträger hinzugezogen. Nach der von dem Landesarbeitsgericht zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Beteiligung der gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen Mindeststandard eines betrieblichen Eingliederungsmanagement. Diese bringen sich gemäß § 167 Abs. 2 Satz 5 SGB IX aktiv ein in die Suche nach Möglichkeiten zur Vermeidung von Arbeitsunfähigkeiten (BAG Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13, Rnrn. 30 und 45).

Es sei nicht auszuschließen, dass bei Hinzuziehung der Rehabilitationsträger ein Bedarf an Rehabilitation der Klägerin hätte erkannt werden können und dass nach Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin hätten deutlich reduziert werden können, so das Landesarbeitsgericht Frankfurt / M..
Diese Einschätzung sah das Gericht dadurch gestützt, dass die Klägerin im März / April 2018 an einer Reha-Maßnahme der Deutschen Rentenversicherung teilgenommen hatte. Aus dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik ergab sich, dass eine deutliche Verbesserung des Gesundheitszustands der Klägerin erreicht wurde. Bei nicht ordnungsgemäßer Einladung zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement und bei nicht ordnungsgemäßer Durchführung wird nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Kündigung nicht automatisch unwirksam. Aber in diesen Fällen hat der Arbeitgeber eine verstärkte Darlegungs- und Beweislast. Er muss darlegen und beweisen, dass das betriebliche Eingliederungsmanagement auch bei ordnungsgemäßer Durchführung erfolglos geblieben wäre (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.11.2000 14, Aktenzeichen 2 AZR 755/13, juris Rn. 39)

Das Landesarbeitsgericht Frankfurt / M. hat somit die krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses für unwirksam erklärt.

Bewertung / Tipp:
Das Landesarbeitsgericht Frankfurt hat die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum betrieblichen Eingliederungsmanagement in dieser Entscheidung zutreffend fortentwickelt. In einem bEM-Verfahren sollten immer Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben oder begleitende Hilfen geprüft werden. Lange Krankheitszeiten deuten immer darauf hin, dass solche Maßnahmen in Betracht gezogen werden müssen. In solchen Fällen müssen die Rehabilitationsträger hinzugezogen werden.

Falls nach einem durchgeführten betrieblichen Eingliederungsmanagement trotzdem eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen sollte, sollten Sie prüfen lassen, ob das betriebliche Eingliederungsmanagement in gesetzmäßiger Weise erfolgt ist. Dabei helfe ich Ihnen gern.
Beachten Sie bitte, dass eine Kündigungsschutzklage unbedingt innerhalb von 3 Wochen nach Zugang des Kündigungsschreibens bei einem Arbeitsgericht eingereicht sein muss.
(Eingestellt am 01.11.2019)

Ergänzung am 08.08.2021:
Seit dem 10.06.2021 gilt: Arbeitnehmer:innen haben bei der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) das Recht, eine Person ihres Vertrauens nach eigener Wahl hinzuzuziehen.
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