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Wenn Überstunden nicht bezahlt werden: Was muss man vor Gericht darlegen, wenn man die Vergütung von Überstunden beim Arbeitsgericht geltend macht? (Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21.09.2021, Aktenzeichen 2 Sa 289/20)
Die Klägerin dieses Verfahrens war Arbeitnehmerin eines gemeinnützigen Vereins, der gemeinsam mit einem weiteren Verein einen Lokalsender betrieb. Hier war die Klägerin aufgrund befristeter Arbeitsverträge, die insgesamt vom 01.08.2012 bis zum 30.09.2015 dauerten, beschäftigt als Projektleiterin und Radio-Fachanleiterin.

Die Arbeitnehmerin machte Forderungen aus der Leistung von Überstunden in den Jahren 2021 bis 2014 geltend.
Sie hatte keinen Erfolg damit. Denn, so das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, sie hatte a) nicht hinreichend dargelegt und bewiesen, über die vereinbarte Normalarbeitszeit hinaus gearbeitet zu haben und b) auch nicht hinreichend dargelegt und bewiesen, dass die Leistung von Überstunden durch den Arbeitgeber veranlasst oder sie ihm zumindest zuzurechnen seien.

Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts fassen die Rechtsprechung zur Darlegung und Geltendmachung von Überstunden zusammen.

1. Darlegung der Zeiten der Überstunden nicht ausreichend
Danach muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, an welchen Tagen und zu welcher Uhrzeit er gearbeitet hat oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hin arbeitsbereit gehalten hat.
Das Landesarbeitsgericht sah schon die Anforderung der Darlegung der geleisteten Arbeitszeiten durch den Vortrag der Arbeitnehmerin als nicht erfüllt an. Das Landesarbeitsgericht führte aus, dass es nicht genügt, wenn der Arbeitnehmer der Klage Stundenaufstellungen oder sonstige Aufzeichnungen anfügt. Solche Anlagen, so das Gericht, können nur der Erläuterung des Vortrags durch Schriftsätze dienen, aber einen solchen Vortrag nicht ersetzen. Sie „… verpflichten das Gericht aber nicht, sich die unstreitigen oder streitigen Arbeitszeiten aus den Anlagen selbst zusammen zu suchen.“
Die Arbeitnehmerin hatte Vordrucke, in denen alle am Sender Beteiligten, also auch die ehrenamtlich tätigen, ihre jeweiligen Anwesenheitszeiten, Aufgaben etc. handschriftlich eingetragen haben, vorgelegt. Auch ihre eigenen Anwesenheitszeiten etc. hatte sie dort eingetragen.
Die Arbeitnehmerin hatte auf die handschriftlichen Aufzeichnungen verwiesen, aus denen sich Anwesenheitszeiten ergeben. Eine Darstellung im Einzelnen, welche konkreten Arbeitsleistungen sie aufgrund des Arbeitsvertrages während der Anwesenheitszeiten erledigt hat, hatte sie jedoch nicht gefertigt.

2. Überstunden vom Arbeitgeber nicht angeordnet, gebilligt, geduldet oder betrieblich notwendig
Das Gericht prüfte weiter, ob die von der Arbeitnehmerin behaupteten Überstunden von dem Arbeitgeber veranlasst wurden oder sie ihm zumindest zurechenbar seien. Überstunden müssen, so das Landesarbeitsgericht „… vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeiten notwendig gewesen sein …“.

Eine ausdrückliche Anordnung der Überstunden durch den Arbeitgeber war nicht erfolgt. Das Gericht prüfte, ob von einer Anordnung der Überstunden durch schlüssiges Handeln des Arbeitgebers, durch Billigung von Überstunden von Seiten des Arbeitgebers, durch Duldung des Arbeitgebers auszugehen war oder ob eine betriebliche Notwendigkeit zur Leistung von Überstunden bestand.

2.1 Keine Anordnung der Überstunden durch schlüssiges Handeln
Eine Anordnung von Überstunden durch schlüssiges Handeln könne vorliegen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Arbeiten in einem Umfang zuweist, die unter Berücksichtigung der individuellen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nur bei Leistung von Überstunden zu bewältigen seien. Dazu hätte die Arbeitnehmerin darlegen müssen, dass die Arbeitgeberin eine bestimmte Arbeit angewiesen hätte, die innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu schaffen war oder dass der Arbeitgeber einen zeitlichen Rahmen vorgegeben hätte, der nur durch die Leistung von Überstunden einzuhalten gewesen wäre. Ein solcher Vortrag war der Arbeitnehmerin nicht gelungen.

2.2 Keine Billigung der Überstunden durch den Arbeitgeber
Auch eine Billigung von geleisteten Überstunden konnte das Gericht dem Vortrag der Arbeitnehmerin nicht entnehmen. Eine Billigung setzt voraus, dass der Arbeitgeber erkennen lässt, dass er mit einer schon erfolgten Leistung von Überstunden einverstanden ist. Eine solche Billigung ist beispielsweise anzunehmen, wenn bereits geleistete Überstunden von einem Vorgesetzten abgezeichnet werden und dieser damit sein Einverständnis mit der Ableistung der Überstunden zum Ausdruck bringt. Auch ein solcher Vortrag war der Arbeitnehmerin nicht gelungen. Sie hatte vorgetragen, dass sie dem Arbeitgeber Arbeitszeitaufzeichnungen überreicht habe und dass dieser die Aufzeichnungen widerspruchslos entgegengenommen habe. Ein solcher Vortrag reiche aber nicht aus, so das Gericht. Der widerspruchslosen Entgegennahme könne man nicht ein Einverständnis mit den Überstunden entnehmen. Auch hatte die Klägerin nicht vorgetragen, welche Person auf Seiten des Arbeitgebers Kenntnis welcher konkreten auf den Arbeitsvertrag bezogenen geleisteten Überstunden erhalten habe.

2.3 Keine Duldung der Überstunden durch den Arbeitgeber
Eine Duldung von Überstunden konnte das Gericht ebenfalls nicht feststellen. Eine Duldung setze voraus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistungen durch Aufzeichnungen konkretisiere und mit dem Hinweis auf Überstundenleistung verbinde. Dann sei der Arbeitgeber verpflichtet, dem nachzugehen und gegen von ihm nicht gewünschte Überstunden einzuschreiten. Auch dazu hatte die Klägerin nicht hinreichend vorgetragen.

2.4 Betriebliche Notwendigkeit der Erbringung von Überstunden nicht dargelegt
Eine betriebliche Notwendigkeit der Erbringung von Überstunden hatte die Arbeitnehmerin nach Auffassung des Gerichts ebenfalls nicht dargelegt. Dazu hätte sie darlegen müssen, dass die ihr übertragenen Aufgaben innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens nicht zu erledigen waren. Auch hätte sie darlegen müssen, dass die Arbeiten nach ihrer Einschätzung betriebliche notwendig gewesen seien.

3. Fazit:
Das Gericht ging daher davon aus, dass weder die Überstunden hinreichend dargelegt waren noch dargelegt war, dass der Arbeitgeber die Überstunden veranlasst hatte.

Bewertung / Tipp:
Die Anforderungen, die von der Rechtsprechung an die Geltendmachung von Überstunden gestellt werden, werden häufig unterschätzt.
Diese Anforderungen zu erfüllen, war der Klägerin im vorliegenden Fall sicher auch erschwert durch die gleichzeitige Erbringung ehrenamtlicher und arbeitsvertraglicher Tätigkeiten in Personalunion sowie im Zusammenwirken mit ausschließlich ehrenamtlich tätigen Kräften in einem Verein, bei der der bei den Beteiligten sich entwickelnde Enthusiasmus und Idealismus möglicherweise auch die Sensibilität für formale Anforderungen beeinträchtigt hat.

Die theoretisch sicher richtigen Maßgaben der Rechtsprechung werden in der Praxis häufig durch Arbeitgeber bewusst zum Nachteil von Arbeitnehmern ausgenutzt, etwa indem die Anordnung von Überstunden durch die Arbeitgeberseite im Unklaren gelassen wird, andererseits aber Aufgaben in einer Menge übertragen werden, die in der normalen Arbeitszeit nicht zu bewältigen sind, indem keine korrekten Aufzeichnungen geführt werden oder indem von der Arbeitnehmerseite selbst gefertigte Aufzeichnungen nicht abgezeichnet werden.

Arbeitnehmer sollten sich dagegen schützen, indem sie genau Aufzeichnungen darüber führen, zu welchem Zeitpunkt (Datum, Uhrzeit,) Arbeitszeit geleistet wurde und – günstigstenfalls – wer diese wann angeordnet hat, möglichst versehen mit Unterschrift des Vorgesetzten.

Für den Fall der schlüssigen Anordnung von Überstunden muss dargelegt werden, dass eine Arbeitsleistung nicht innerhalb der Normalarbeitszeit zu erledigen war oder ein bestimmter Zeitrahmen nicht einzuhalten war. Das ist schon erheblich schwieriger.
Bei der Billigung von Überstunden muss genau dargelegt werden, woraus sich diese ergibt. Günstigstenfalls auch mit einer Unterschrift des Vorgesetzten. Das ist ebenfalls sehr schwierig.
Auch ist anzuraten, dass man schnell versucht, Konflikte um Überstunden zu klären.
Wenn sich solche Unstimmigkeiten über mehrere Jahre hinziehen, wird die Geltendmachung von Ansprüchen erfahrungsgemäß immer schwieriger. Arbeitnehmer sollten sich also schnell darum kümmern, Konflikte in Bezug auf Überstunden anzugehen.
Sollten Unterschriften unter geleistete Aufzeichnungen verweigert werden, kann es helfen, wenn mehrere betroffene Arbeitnehmer individuell Aufzeichnungen führen und sich gegenseitig unterschreiben, dass die Überstunden z. B. angeordnet und in der Zeit von … bis geleistet wurden.
(eingestellt am 15.04.2022)