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Wann ist eine krankheitsbedingte Kündigung unwirksam wegen nicht ordnungsgemäßer Einladung zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) durch mangelhafte Aufklärung zum Datenschutz? (Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 20.10.2021, Aktenzeichen 4 Sa 70/20)
Die Arbeitgeberin hatte eine krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitnehmers ausgesprochen. Sie hatte den Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung mit einem Schreiben zum bEM eingeladen. Der Einladung zum bEM hätte nach dem Vortrag der Arbeitgeberin ein ständig von der Arbeitgeberin verwendetes Formular „Datenschutzerklärung“ beigelegen, in dem es hieß:

„Ich bin damit einverstanden, dass die Angaben, die im Rahmen des BEM erhoben werden, den am Prozess Beteiligten (insbesondere dem betrieblichen Eingliederungsteam (BET) und gegebenenfalls dem Vorgesetzten, dem Übersetzer und bei erforderlichen Veränderungen des Arbeitsplatzes HSE, TEF, Standortleitung) bekannt gemacht werden. Zweck der Datenerhebung ist es, Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und / oder erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen sowie den Arbeitsplatz zu erhalten.“

Die Arbeitgeberin versuchte nach dem Wortlaut der Datenschutzerklärung also, die Zustimmung des Arbeitnehmers unter anderem zur „Bekanntmachung“ von Gesundheitsdaten an den Vorgesetzten und „die Standortleitung“ zu erlangen.
Ob das Formular tatsächlich dem Einladungsschreiben angelegen hatte, war zwischen den Parteien strittig. Das Landesarbeitsgericht ging dieser Frage aber nicht weiter nach. Denn es ging davon aus, dass die Datenschutzerklärung, selbst wenn sie dem Einladungsschreiben beigefügt war, nicht den Anforderungen von § 167 Abs. 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch IX in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 der EU-Datenschutz-Grundverordnung genügte. Das Gericht wertete die Einladung der Arbeitgeberin als nicht ordnungsgemäße Einleitung des bEM.

Rechtlicher Hintergrund:
Wurde kein bEM durchgeführt oder ist – wie im vorliegenden Fall – keine ordnungsgemäße Einladung mit einer ordnungsgemäßen Unterrichtung des Arbeitnehmers über das bEM erfolgt und wurde infolgedessen ein bEM nicht durchgeführt, ist eine Kündigung zwar nicht von vorneherein unwirksam. Allerdings muss dann die Arbeitgeberin detailliert vortragen, dass ein bEM von vorneherein objektiv nutzlos geblieben wäre. Die Arbeitgeberin muss dann darlegen und beweisen, warum ein Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich gewesen sei, warum eine leidensgerechte Ausgestaltung des Arbeitsplatzes nicht möglich gewesen sei und warum der Arbeitnehmer auch an keinem anderen leidensgerechten Arbeitsplatz einzusetzen gewesen sei. Ein solcher Vortrag ist sehr schwierig und wird der Arbeitgeberin in den seltensten Fällen gelingen.

Wie das Gericht die Einladung beurteilte:
Die nicht ordnungsgemäße Einladung ergab sich aus der Datenschutzerklärung. Bei der Organisation des Datenschutzes muss der Arbeitgeber darauf achten, dass nur die am bEM beteiligten Personen Zugang zu den Daten haben, die für die Durchführung eines bEM unbedingt erforderlich sind. Diagnosen des Arbeitnehmers dürfen dem Arbeitgeber und jeder anderen Person, die Personalentscheidungen treffen kann, ohne besondere schriftliche Zustimmung des Betroffenen nicht zugänglich gemacht werden. Das Gericht empfand es als vielleicht noch durch einschränkende Auslegung nachvollziehbar, wenn Gesundheitsdaten gegenüber dem „Vorgesetzten“ bekannt gegeben würden, wenn der Vorgesetzte als Teilnehmer des betrieblichen Eingliederungsteams (BET) herangezogen würde. Der Kläger hätte in dem von der Beklagten angeblich beigefügten Antwortschreiben eine entsprechende Ankreuzung vornehmen können. Dass allerdings auch die „Standortleitung“ über alle offenbarten Gesundheitsdaten zu informieren war, dafür sah das Gericht „kein(en) nachvollziehbaren Grund“. Die Standortleitung müsste allenfalls wissen, auf welche Einschränkungen des betroffenen Arbeitnehmers bei der Ausgestaltung eines Arbeitsplatzes zu achten sei. Eine Kenntnis der Diagnosen des Arbeitnehmers sei auf keinen Fall dafür notwendig.
Man könne nicht ausschließen, dass ein Arbeitnehmer auch einem am bEM-Verfahren nicht Beteiligten seine Gesundheitsdaten freiwillig überlassen wolle. Es müsse aber dann in „besonderem Maße deutlich gemacht werden, dass dieser Teil der Einwilligung nur freiwillig“ sei, weil sie für die Durchführung des bEM nicht erforderlich sei.

Das Gericht ging daher davon aus, dass nicht auszuschließen sei, dass bei ordnungsgemäßer Einladung und Information des Klägers dieser an dem bEMteilgenommen hätte und mithilfe des bEM Möglichkeiten gefunden worden wären, in Zukunft mögliche Erkrankungen und Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers zu reduzieren.
Es wertete die Kündigung der Arbeitgeberin als unwirksam.

Hinweis:
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision gegen sein Urteil zugelassen. Die Arbeitgeberin hat auch Revision eingelegt. Das Verfahren wird beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 2 AZR 485/21 geführt. Termin ist auf den 19.05.2022 anberaumt.

Bewertung:
Die Basis für ein Vertrauen eines Betroffenen in ein bEM ist die ordnungsgemäße Beachtung des Datenschutzes. Dass das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg durch dies Urteil die Bedeutung des Datenschutzes betont, ist daher begrüßenswert.

(eingestellt am 01.02.2022)