Tipps und Urteile

Welche Schwierigkeiten können bei der Neugründung eines Betriebsrats auftreten und welche Auswirkung hat die von Herrn Bundesarbeitsminister Hubertus Heil beabsichtigte Verschärfung des strafrechtlichen Schutzes von Betriebsratsgründungen?
In Betrieben, in denen bereits ein Betriebsrat besteht, ist die Wahl eines neuen Betriebsrates meistens nicht übermäßig schwierig. Hier ist der bestehende Betriebsrat verpflichtet, einen Wahlvorstand zu bestellen. (Da kommt es nach durchgeführter Wahl nicht ganz selten zu Streitigkeiten darüber, ob die Wahl anfechtbar oder nichtig ist. Solche Verfahren werden meistens von Arbeitgeberseite eingeleitet. Bei Praktikern auf der Arbeitnehmerseite entsteht meistens der Eindruck, dass das Motiv der Arbeitgeberseite, solche Verfahren vor dem Arbeitsgericht einzuleiten, nicht das Bestreben ist, dafür zu sorgen, dass sich die demokratischen Grundsätze bei der Durchführung einer Wahl verwirklichen, sondern eher, die Weiterexistenz eines Betriebsrats zu verhindern oder hilfsweise zu erreichen, dass die von Arbeitgeberseite erwünschten Arbeitnehmer Betriebsratsmitglied werden.)

Verbesserung des Kündigungsschutzes durch das am 18.06.2021 in Kraft getretene Betriebsrätemodernisierungsgesetz
Schwieriger sind Neugründungen von Betriebsräten. Hier hat schon das Betriebsrätemodernisierungsgesetz Verbesserungen geschaffen. Bis zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz war die Neugründung eines Betriebsrats für Arbeitnehmer, die so etwas initiieren wollten, schon eine große Mutprobe: Drei im Betrieb beschäftigte wahlberechtigte Arbeitnehmer oder die Gewerkschaft können (nach damaliger und heutiger Fassung des Gesetzes, § 17 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz) zu einer Betriebsversammlung einladen. Auf dieser Betriebsversammlung wird der Wahlvorstand gewählt.
Die Schwachstelle war der Beginn des Kündigungsschutzes. Dieser setzt ein mit der Einladung zu der Wahlversammlung (§ 15 Absatz 3a Kündigungsschutzgesetz).
Denn: Eine solche Aktion braucht Vorbereitung. Ein Arbeitnehmer, der gewillt ist, an einer Betriebsratsgründung mitzuwirken, muss sich Mitstreiter suchen. Auch wird (und sollte) er bzw. die Mitstreiter versuchen, unter den Kollegen im Betrieb in Erfahrung zu bringen, ob Interesse an der Wahl eines Betriebsrats besteht bzw. versuchen, Kollegen zu der Betriebsratswahl und Mitwirkung dabei zu motivieren. In diesem Stadium bestand die Gefahr, dass die Gründungsabsicht und die Personen der Rädelsführer der Geschäftsführung bekannt wurden und es zu Kündigungen bzw. anderen Schikanen gegenüber diesen kam, noch bevor überhaupt eine Einladung zu einer Betriebsversammlung erfolgt war.
An dieser Stelle hat das Betriebsrätemodernisierungsgesetz schon eine gute Verbesserung herbeigeführt: Jetzt ist es möglich, dass Arbeitnehmer, die beabsichtigen, einen Betriebsrat zu gründen, bevor sie irgendetwas in der Betriebsöffentlichkeit tun, zunächst zu einem Notar gehen und beurkunden lassen, dass sie die Absicht haben, einen Betriebsrat zu gründen. Sie haben dann Kündigungsschutz von der Abgabe der Erklärung bis zum Zeitpunkt der Einladung zu der Betriebsversammlung, längstens für 3 Monate (§ 15 Absatz 3b Kündigungsschutzgesetz). Der Kündigungsschutz ist also 3 Monate vorverlagert.

Mit welchen Szenarien sehen sich Arbeitnehmer konfrontiert, deren Arbeitgeber eine Betriebsratswahl verhindern will?
Eine Betriebsratsgründung ohne Beteiligung einer Gewerkschaft gegen den Widerstand der Arbeitgeberseite ist außerordentlich schwierig. Ich würde davon abraten. Eine beteiligte Gewerkschaft wird den gründungswilligen Arbeitnehmern raten, gleich diejenigen Arbeitnehmer (oder jedenfalls die für das Verfahren wichtigsten Personen), die als Betriebsratsmitglieder kandidieren wollen, in den Wahlvorstand zu bestellen. Der Grund ist ein möglichst lückenloser Kündigungsschutz und Psychologie. Der Kündigungsschutz endet mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Werden sie zum Betriebsrat gewählt, schließt sich der Kündigungsschutz als Betriebsratsmitglied an.
Zu der ersten Betriebsversammlung, auf der der Wahlvorstand gewählt werden soll, sollte unbedingt ein/e Gewerkschaftssekretär/in eingeladen werden.Ein/e Gewerkschaftssekretär/in hat das Recht, den Betrieb zu betreten, wenn es auch nur ein Gewerkschaftsmitglied im Betrieb gibt. Dritte haben das Recht nicht, auch ich als Rechtsanwalt nicht.
Die Aufgabe der/des Gewerkschaftssekretärin/s in der ersten Betriebsversammlung ist es, dafür zu sorgen, dass sich dort nicht folgende Szenerie entwickelt:
Als erstes betritt ein Mitglied der Geschäftsführung das Podium und hält eine Rede (vom Gesetz nicht vorgesehen) mit dem Inhalt, dass man in dem Betrieb jahrzehntelang gut miteinander ausgekommen sei, dass die Geschäftsführung immer ein offenes Ohr für die Belange der Belegschaft gehabt habe, dass sich das erst durch die Aktivitäten gewisser Individuen, die auf einem falschen Weg seien und aus persönlichen Motiven eine grundlegende Beeinträchtigung der sehr guten und persönlichen Arbeitgeber- Arbeitnehmerbeziehung anstreben, ändern werde. Das könne niemand wollen, der vernünftig denke. Dem Unternehmen gehe es darum, Arbeitsplätze zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das werde nur funktionieren, wenn es bei dem bisherigen guten Verhältnis zwischen Geschäftsführern und Arbeitnehmern bleibe. Zum Schluss der Rede wird dann noch eine (vom Gesetz selbstverständlich nicht vorgesehene) Abstimmung darüber initiiert, ob man im Betrieb überhaupt einen Betriebsrat benötige und die Betriebsratswahl wolle. Das Ganze möglichst in einer öffentlichen Abstimmung durch Handzeichen. Es braucht großen Mut auf Arbeitnehmerseite, sich einer solchen Entwicklung entgegenzustellen.
Um das zu verhindern, ist es äußerst hilfreich, eine/n durchsetzungsfähigen Gewerkschaftssekretär/in in der Versammlung zu haben, der/die hilft, eine solche Entwicklung von vorneherein zu unterbinden und zügig die Wahl des Wahlvorstands einzuleiten. Auch gilt es, zu verhindern, dass an dieser Stelle sich nicht die „Kandidaten des Arbeitgebers“ „vordrängeln“, um in den Wahlvorstand zu kommen.

Welchen strafrechtlichen Schutz gibt das Gesetz aktuell und welchen Schutz wird es nach der von Herrn Heil angekündigten Reform bieten?
Wie gezeigt gibt es da schon Wildwest-Szenerien.
Bereits der Einladungsvorgang ist durch die derzeitige Fassung der Strafvorschrift des § 119 Abs. 1 Nummer 1 Betriebsverfassungsgesetz geschützt. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer „ eine Wahl des Betriebsrats (…) behindert oder durch Zuführung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung von Versprechungen von Vorteilen beeinflusst,“.
Die Bedrängung von Wahlvorstandsmitgliedern dergestalt, dass sie zunächst abgemahnt, dann durch persönliche Gespräche „überzeugt“ werden sollen, ein „so kleiner Betrieb brauche keinen Betriebsrat“ und schließlich die Aufforderung des Arbeitgebers, die Wahlvorstandsmitglieder sollten doch besser selbst kündigen, erfüllt den Tatbestand (Landgericht Siegen, Urteil vom 13.11.1986, (AiB 1992, 42).
Auch nach erfolgreicher Durchführung der Wahl des Wahlvorstands hat ein Arbeitgeber, der eine Betriebsratswahl behindern will, vielfältige Möglichkeiten. Eine strafbare Behinderung kann beispielsweise die Weigerung sein, Hilfestellung bei Erstellung der Wählerliste zu geben sowie die Nutzungsverweigerung bezüglich des betrieblichen Fotokopierers und die Erteilung eines Hausverbots gegen den Vorsitzenden des Wahlvorstands sein, wie das Amtsgericht Bremen bereits am 06.09.1984 entschieden hat (AiB 1992, 42)
In der derzeit gültigen Fassung des § 119 Betriebsverfassungsgesetz wird die Tat „nur auf Antrag des Betriebsrats, des Gesamtbetriebsrats, des Konzernbetriebsrats (… des Wahlvorstands (…) oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft" verfolgt.
Hier erscheint mir schon mangelhaft, dass die Einladenden zu der Betriebsversammlung gar nicht als strafantragsberechtigt erwähnt werden. Das bedeutet: wenn es durch die Aktivitäten der Arbeitgeberseite nicht zu einer Betriebsratswahl kommt, können sie keinen Strafantrag stellen. War auch keine Gewerkschaft an der Wahl beteiligt, gibt es niemanden, der antragsberechtigt ist.
Die Arbeitnehmer, die eine Wahl initiiert haben, haben in diesem Fall noch 3 Monate nach der Einladung Kündigungsschutz. Man kann sich vorstellen, dass ihre Motivation nach dem Erlebnis, dass es trotz ihrer Anstrengungen nicht zu einer Betriebsratswahl gekommen ist, einen Strafantrag gegen den Arbeitgeber zu stellen, ohnehin sehr gering sein wird – sie haben aber, wie ausgeführt, ohnehin nach der derzeit gültigen Gesetzeslage kein Antragsrecht.
Wird das Erfordernis, nach § 119 Betriebsverfassungsgesetz einen Strafantrag zu stellen, aus dem Gesetz herausgenommen und somit die Staatsanwaltschaft verpflichtet, bereits bei Vorliegen eines Verdachts von Amts wegen zu ermitteln, bedeutet das eine weitere Stärkung des Schutzes und der Förderung von Betriebsratswahlen. Der oben geschilderte Geschäftsführer, der anlässlich der Betriebsversammlung über die Frage abstimmen lässt, ob überhaupt ein Betriebsrat gewählt werden soll, hat sich schon nach derzeitiger Gesetzeslage strafbar gemacht. Er würde sich nach der zukünftig zu erwartenden Gesetzeslage aber nicht mehr ganz so sicher sein können, mit keinerlei Konsequenzen rechnen zu müssen, wie bisher.
§ 119 Betriebsverfassungsgesetz schützt übrigens nicht nur Betriebsratswahlen, sondern auch die Wahl und insbesondere die Tätigkeit aller betriebsverfassungsrechtlichen Gremien. Deren Behinderung ist ebenfalls unter Strafe gestellt. Die Ausgestaltung der Strafvorschrift als Offizialdelikt würde auch bezüglich der Tätigkeit eine Erweiterung des Schutzes bewirken.
Daher ist die Initiative von Herrn Hubertus Heil sehr zu begrüßen.
(eingestellt am 22.01.2022)