Tipps und Urteile

Schmerzensgeldanspruch wegen Benachteiligung eines schwerbehinderten Bewerbers von Seiten eines öffentlichen Arbeitgebers durch nicht ordnungsgemäße Meldung der freien Stelle bei der zuständigen Agentur für Arbeit (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.11.2021, Aktenzeichen 8 AZR 313/20)
Beklagter dieses Verfahrens war ein Landkreis. Dieser veröffentlichte über die Jobbörse der Arbeitsagentur ein Stellenangebot „Amtsleiter/in Rechts- und Kommunalamt (Jurist/in)“. Es ging um die Leitung des Rechts- und Kommunalamts mit ca. 20 Bediensteten. Die Stelle sollte zum 01.02.2018 besetzt werden.
In der Stellenausschreibung wurde als Voraussetzung ein Master oder gleichwertiger Abschluss in der Fachrichtung Rechtswissenschaften bzw. ein 2. juristisches Staatsexamen genannt. Der Kläger war von Beruf Jurist mit 2. Staatsexamen und schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Er bewarb sich im November 2017 und gab auch bei der Bewerbung seine Schwerbehinderung an.
Ihm wurde mit Schreiben vom 11.04.2018 mitgeteilt, dass der Landkreis sich für einen anderen Bewerber entschieden habe. Der Kläger erwiderte mit Schreiben vom 14.04.2018. Er beschwerte sich unter Bezugnahme auf § 13 allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und machte gleichzeitig einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG geltend. Nachdem der Kläger von dem Landkreis keine Antwort erhalten hatte, erhob er Klage. Er hatte vor dem Arbeitsgericht Dresden und auch vor dem Landesarbeitsgericht Sachsen keinen Erfolg.
Der Kläger hatte unter anderem geltend gemacht, dass der beklagte Landkreis den freien Arbeitsplatz nicht nach der Vorschrift das § 165 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IX an die Agentur für Arbeit gemeldet hatte. Der Landkreis verteidigte sich unter anderem damit, die Ausschreibung der Stelle über die Jobbörse der Arbeitsagentur stelle eine Meldung im Sinne von § 165 Satz 1 SGB IX dar. Dieser Auffassung erteilte das Bundesarbeitsgericht eine Absage.
Das Bundesarbeitsgericht gab dem Kläger recht. Es stellte fest, dass der beklagte Landkreis gemäß § 15 Absatz 2AGG verpflichtet ist, dem Kläger eine Entschädigung zu zahlen. Die Tatsache, dass der Landkreis den Arbeitsplatz nicht entsprechend § 165 Satz 1 SGB IX ausgeschrieben und auch den Kläger nicht gemäß § 165 Satz 3 zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe, stelle eine Vermutung für eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung dar.
Das Gericht konnte es aufgrund dieser Feststellung dahingestellt sein lassen, ob auch die Nichtbeantwortung der Beschwerde des Klägers ein Indiz für eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung darstellte.

Erläuterung / Bewertung:
Bei einem Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz steht dem Betroffenen gemäß § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung zu. Man kann diese auch als Schmerzensgeld bezeichnen. Betroffene haben bei der Darlegung einer Benachteiligung von Gesetz wegen eine Beweiserleichterung. Beweisen sie Indizien, die eine Benachteiligung vermuten lassen, so trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Schutzbestimmungen gegen Benachteiligung vorgelegen hat (§ 22 AGG).

Alle Arbeitgeber haben gemäß § 164 SGB IX die Pflicht, zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können. Öffentliche Arbeitgeber haben zusätzlich die Pflicht, „den Agenturen für Arbeit frühzeitig nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze“ zu melden (§ 165 Satz 1 SGB IX). Schwerbehinderte Menschen, die sich beworben haben, müssen von öffentlichen Arbeitgebern zwingend zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden (§ 165 Satz 3 SGB IX). Sie müssen nur dann nicht eingeladen werden, wenn ihre fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich nicht gegeben ist (§ 165 Satz 4 SGB IX), also beispielsweise, wenn im vorliegenden Fall der Bewerber nicht über die in der Stellenausschreibung geforderten Studienabschlüsse verfügt hätte.

Da der Gesetzgeber mit den einschlägigen Vorschriften des SGB IX und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unter anderem einen besonderen Schutz schwerbehinderter Menschen vor Benachteiligung bezweckt, ist es konsequent und begrüßenswert, dass das Bundesarbeitsgericht bei der Feststellung, ob ein öffentlicher Arbeitgeber zur Meldung freier Arbeitsplätze und zur Einladung von Bewerbern verpflichtet ist, einen strengen Maßstab angelegt hat. Das Landesarbeitsgericht Sachsen hatte es demgegenüber für ausreichend gehalten, dass der Landkreis „über die Bundesagentur für Arbeit das Stellenangebot veröffentlicht hat“ (Landesarbeitsgericht Sachsen, Urteil vom 11.03.2020, Aktenzeichen 5 Sa 414/18) und die Frage, ob eine ordnungsgemäße Meldung der Stelle entsprechend § 165 Satz 1 SGB IX erfolgt ist, noch nicht einmal problematisiert.

Tipp:
Achtung! Nicht nur für Benachteiligungen wegen einer Behinderung, sondern wegen aller Benachteiligungsgründe, die das Gesetz ausdrücklich verbietet („Rasse“, „ethnische Herkunft“, „Geschlecht“, „Religion oder Weltanschauung“, „Behinderung“, „Alter“ oder „sexuelle Identität“ gelten kurze Fristen und eine Formvorschrift für die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen:

  • schriftliche Geltendmachung innerhalb von 2 Monaten (§ 15 Abs. 4 AGG) und
  • Klage innerhalb von 3 Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist.

Die erstgenannte Frist beginnt im Falle der Ablehnung einer Bewerbung mit dem Zugang der Ablehnung und im Falle von sonstigen Benachteiligungen mit dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt hat.

Sollten Sie sich in einem Bewerbungsverfahren oder in sonstiger Weise aufgrund der oben genannten Merkmale benachteiligt fühlen, sollten Sie sich daher zügig um anwaltliche Hilfe bemühen.

Der Entschädigungs- / Schmerzensgeldanspruch ist „gedeckelt“ auf 3 Monatsgehälter, wenn der oder die Beschäftigte auch bei einer rechtlich einwandfreien Durchführung des Bewerbungsverfahrens nicht eingestellt worden wäre (§ 15 Abs. 2 AGG).