Tipps und Urteile

Wer Schmerzensgeld für eine Ansteckung mit dem Corona-Virus verlangt, muss beweisen!
Nämlich eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers und eine Ansteckung als Folge dieser Pflichtverletzung (Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 30.03.2022, Aktenzeichen 3 Ca 1848/21)

Die Arbeitnehmerin und Klägerin, von Beruf Krankenschwester, hatte ab dem 01.08.2017 bei der Beklagten als psychosoziale Betreuerin gearbeitet. Die Arbeitgeberin unterhielt ein Pflegeheim.
Unstreitig war zwischen den Parteien, dass die Klägerin am 28.03.2020 und am 29.03.2020 gearbeitet hatte. Ob sie auch bereits am 27.03.2020 gearbeitet hat, ist zwischen den Parteien strittig geblieben.
Unstreitig war auch, dass die Arbeitgeberin am 16.03.2020 Schutzkleidung und Masken bestellt hatte. Beides traf bei der Arbeitgeberin erst am 29.03.2020 ein.
Am 22.03.2020 war im Land Nordrhein-Westfalen eine Corona-Schutzverordnung in Kraft getreten, die den Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen besondere Schutzpflichten auferlegte, um den Eintrag von Coronaviren zu erschweren.

Die Arbeitnehmerin trug vor, dass sie am 27.03.2020 und den beiden Folgetagen gearbeitet habe, teilweise in engem Bewohner- / Patientenkontakt. Die Beklagte habe ihr keine Atemschutzmaske zur Verfügung gestellt.
Die Arbeitnehmerin erlitt eine Corona-Infektion mit außerordentlich schweren Folgen: sie wurde am 08.04.2020 positiv auf Corona getestet. Sie musste stationär in ein Krankenhaus aufgenommen werden. Dort wurde sie in ein künstliches Koma versetzt und notbeatmet bis zum 25.05.2020. Vier Tage davon musste sie zusätzlich an die Dialyse angeschlossen werden. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nahm sie bis zum 09.07.2020 an einer Reha-Maßnahme teil. Nach ihrer Entlassung dort litt sie immer noch unter Luftnot, Unkonzentriertheit, Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, Beeinträchtigung des Sehvermögens, ständigen Erschöpfungszuständen und Müdigkeit, Gelenkschmerzen und starken Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich. Auch ihr Hörvermögen hatte nachgelassen. Sie unterzog sich noch einer kieferorthopädischen Maßnahme, für die sie ca. 3800,00 € zuzahlen musste.
Auch 12 Bewohner des Pflegeheims infizierten sich dem Corona-Virus, 3 davon verstarben.

Die Arbeitgeberin verteidigte sich damit, dass eine Ausstattung der Klägerin mit Schutzmasken aufgrund der seinerzeitigen weltweiten Knappheit von Schutzmasken vor dem 29.03.2020 nicht möglich gewesen sei. Sie habe zu den Zeiten, zu denen die Klägerin in dem Pflegeheim gearbeitet habe, sämtliche Schutzmaßnahmen nach den behördlichen Vorgaben getroffen (genannt wurde beispielsweise desinfizierendes Reinigen aller Oberflächen, Aufstellen von Desinfektionsspendern an diversen zentralen Orten der Einrichtung, Einhalten von Abstandsregelungen, Aushänge und Gespräche, die auf die Abstandsregeln aufmerksam machten, Trennung der Bereiche für Mieter und Bewohner durch Absperrbänder, Verschließen von Verbindungstüren, vollständiges Verbot von Besuchen etc.).

Die Klägerin machte mit ihrer Klage die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 20.000 €, Verdienstausfall für 13 Monate und Ersatz der Kosten für Behandlungsmaßnahmen sowie Kosten von notwendigen Besuchen ihres Ehegatten bei ihr in der Reha-Maßnahme in Höhe von rund 12.500,00 € geltend.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab.
Die Klägerin habe schon nicht beweisen können, dass sie sich an ihrem Arbeitsplatz angesteckt habe. Sie hatte zwar vorgetragen, dass sie mit verschiedenen Bewohnern Kontakt hatte, die auch schon Erkältungssymptome gehabt hätten. Ob es sich bei diesen Symptomen um solche handelte, die durch das Corona-Virus ausgelöst wurden oder vielleicht auf andere Erkrankungen zurückzuführen waren, konnte die Klägerin naturgemäß nicht vortragen.
Die Berufsgenossenschaft war zwar von einer Ansteckung am Arbeitsplatz ausgegangen. Eine Fachärztin hatte außerdem in einem Attest geschrieben, dass die Klägerin sich am Arbeitsplatz angesteckt habe. Die Feststellung der Berufsgenossenschaft sei aber nicht bindend für das Gericht. Ebenso nicht die Feststellungen der Ärztin in ihrem Attest. Denn ein Mediziner könne zwar eine Infektion mit dem Coronavirus feststellen, nicht jedoch, woher die Ansteckung kommt.
Wenn schon nicht feststellbar sei, auf welchem Weg genau die Klägerin sich angesteckt habe, sei auch nicht feststellbar, ob Pflichtverletzungen der Arbeitgeberin tatsächlich zu dieser Infektion geführt haben. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Klägerin sich ihre Coronavirus-Infektion außerhalb der Einrichtung zugezogen habe.

Bewertung:
Wenn der Arbeitgeber notwendige Schutzmaßnahmen unterlassen hat und die Arbeitnehmerin sich deshalb mit dem Corona-Virus infiziert hat, entstehen bei schwerwiegenden Folgen auch Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche.
Aber das Problem liegt hier eindeutig im Beweis! Das wird von juristischen Laien häufig nicht erkannt. Wenn Berufsgenossenschaft und Ärztin ohne weitere Tatsachengrundlagen eine Ansteckung im Betrieb als gegeben ansehen, muss das nicht objektiv richtig sein und das bindet das Gericht auch nicht.
Das Gericht hat in der Entscheidung weiter zum Ausdruck gebracht, dass selbst dann, wenn die Arbeitnehmerin sich im Betrieb angesteckt hätte, noch nicht unbedingt die Arbeitgeberin hätte haften müssen. Eine Haftung der Arbeitgeberin würde eintreten, wenn gerade deren Pflichtverletzungen zu der Ansteckung geführt hätten. Pflichtverletzungen allein reichen also nicht, sie müssen auch eine Schadensursache setzen.
Das ist vergleichbar mit dem Fall, dass ein Pkw mit abgefahrenen Reifen in einen Unfall verwickelt wird. Fahren mit abgefahrene Reifen allein führt nicht zu einer Haftung. Es muss diese Pflichtverletzung auch zum Unfall geführt haben. (Auf regennasser Fahrbahn wäre das wahrscheinlicher als auf trockener Fahrbahn. Auf trockener Fahrbahn ist die Bremswirkung abgefahrener Reifen sogar besser als die Bremswirkung von Reifen mit Profil.)

So bitter das für die Betroffene Arbeitnehmerin ist, das Gericht hat hier zutreffend entschieden.
(eingestellt am 22.09.2022)