Tipps und Urteile

Duales Studium: Vereinbarungen über die Verpflichtung des Studierenden, vom Unternehmen finanzierte Studiengebühren zurückzuzahlen, können unwirksam sein. (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28.08.2019, Aktenzeichen 7 Sa 6/19 und Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01.03.2022, Aktenzeichen 9 AZR 260/21)
Der damalige Studierende hatte mit einem Unternehmen einen Studien- und Praxisvertrag abgeschlossen (genannt: „Training-on the job“- Vereinbarung), die über 3 Jahre lief. Danach arbeitete der Studierende während des Studiums im Unternehmen. Er erhielt eine Vergütung. Es wurde auch die Studiengebühr vom Unternehmen übernommen. Das waren insgesamt 17.040,00 €.
Dem Vertrag zufolge konnte das Unternehmen dem Studierenden nach erfolgreicher Beendigung des Studiums ein Übernahmeangebot zu den „im Unternehmen üblichen Vergütungsstrukturen“ unterbreiten. Bei Ablehnung dieses Angebots sollte der Studierende verpflichtet sein, die Studiengebühr an das Unternehmen zurückzuzahlen. Bei Kündigung des Arbeitsvertrages innerhalb von 24 Monaten sollte er für jeden nicht im Unternehmen verbliebenen Monat 1/24 der Studiengebühr zurückzahlen.

Im Vertrag hieß es dazu:
„Lehnt der Studierende / die Studierende das Angebot des Unternehmens ab bzw. kündigt der Studierende / die Studierende das Arbeitsverhältnis innerhalb von 24 Monaten, ist der verbleibende Darlehensbetrag innerhalb von 4 Wochen nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen durch den Studierenden / die Studierende auf ein Konto des Unternehmens zu überweisen.“

Das gleiche sollte gelten, wenn das Studium „… durch den Studierenden / die Studierende vorzeitig abgebrochen wird“.

Der Studierende nahm das Übernahmeangebot des Unternehmens nicht an. Er war auch nicht bereit, die Studiengebühr zurückzuzahlen. Auf die Klage des Unternehmens hin gab das Gericht dem Studierenden recht. Der Vertrag differenzierte nämlich nicht danach, ob die Kündigung des Vertrages oder die Beendigung des Arbeitsvertrages durch den Studierenden oder durch das Unternehmen veranlasst worden war. Eine solche Risikoverteilung sah das Gericht als unangemessene Benachteiligung des Studierenden im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB an. Denn nach der Klausel wäre der Arbeitnehmer auch dann zur Rückzahlung verpflichtet gewesen, wenn die Beendigung des Studien- und Praxisvertrages ausschließlich durch das Unternehmen veranlasst gewesen wäre.
Hätte der Studierende beispielsweise aufgrund von Vertragsverletzungen von Seiten des Unternehmens den Vertrag oder den späteren Arbeitsvertrag gekündigt, wäre er trotzdem verpflichtet gewesen, die Studiengebühr zurückzuzahlen.

In einem neu vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall ging es nicht um einen Studien- und Praxisvertrag, sondern einen Fortbildungsvertrag, den die Arbeitnehmerin in einem laufenden Arbeitsverhältnis abgeschlossen hatte. Die mit der Arbeitgeberin getroffenen Vereinbarung sah eine Rückzahlung der Fortbildungskosten für den Fall vor, dass die Arbeitnehmerin innerhalb von 6 Monaten nach Beendigung der Fortbildung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden würde.

In der in diesem Fortbildungsvertrag verwendeten Rückzahlungsklausel wurde – anders als in dem Fall des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz – danach unterschieden, ob die Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitnehmer oder vom Arbeitgeber zu vertreten war:
„Scheidet der Arbeitnehmer aufgrund einer eigenen ordentlichen nicht vom Arbeitgeber zu vertretenden oder einer eigenen außerordentlichen nicht vom Arbeitgeber zu vertretenden Kündigung oder aufgrund einer vom Arbeitgeber erklärten verhaltensbedingten ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung vor Ablauf (von 6 Monaten, R.-C. B.) aus, so hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die vom Arbeitgeber übernommenen Gesamtkosten an diesen zurückzuzahlen.“
Die Rückzahlungsverpflichtung sollte ebenfalls im Falle eines von der Arbeitnehmerin veranlassten Aufhebungsvertrages eintreten.

Die Rückzahlungsverpflichtung wurde also immer ausgelöst, wenn eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht von der Arbeitgeberseite zu vertreten war. Der Fall, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der Arbeitnehmerin nicht zu vertreten war, wurde von der Vereinbarung aber nicht geregelt. Das bedeutete im Ergebnis, dass eine Rückzahlungsverpflichtung auch hätte eintreten können, wenn die Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis gekündigt hätte, weil es ihr ohne eigenes Verschulden nicht möglich gewesen wäre, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.
Einen solchen Fall hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil gedanklich durchgespielt: Wäre es der Arbeitnehmerin aus gesundheitlichen Gründen ohne ihr Verschulden nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, so wäre sie nach Ablauf des 6-wöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums verpflichtet, den Arbeitsvertrag ohne Gegenleistungspflicht des Arbeitgebers bestehen zu lassen, um die Rückzahlungsverpflichtung nicht auszulösen. Diese Regelung sah das Bundesarbeitsgericht als unwirksam nach § 307 Abs. 1 BGB an, weil sie eine unangemessene Benachteiligung der Arbeitnehmerseite bedeute.
Die Arbeitnehmerin musste die Fortbildungskosten nicht zurückzahlen.

Bewertung / Tipp:
Beide Urteile ergingen zu Formularklauseln in Formularen, die von der Arbeitgeberseite vorgelegt worden waren und die für eine Vielzahl von Vertragsabschlüssen geeignet waren. Das machte sie zu Formularen im Sinne von § 305 BGB, die nach § 307 BGB zu überprüfen waren. Sowohl bei Studien- und Praxisverträgen als auch bei Fortbildungsverträgen ist es vollkommen üblich, dass die Arbeitgeber Formulare vorlegen. Sie können also in der Regel davon ausgehen, dass solche Vereinbarungen nach den Regeln über allgemeine Geschäftsbedingungen überprüfbar sind.

Die Unwirksamkeit der Klausel tritt immer ein, unabhängig davon, ob der Studierende / die Arbeitnehmerin im Einzelfall tatsächlich aufgrund von unverschuldeten personenbedingten Gründen den Studienvertrag oder den Arbeitsvertrag gekündigt hat. Denn, so das Bundesarbeitsgericht, „die gesetzlichen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB missbilligen bereits das Stellen inhaltlich unangemessener Formularklauseln (…), nicht erst deren unangemessenen Gebrauch im konkreten Fall.“

Obwohl es in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall nicht um einen Studien- und Praxisvertrag ging, ist diese Entscheidung auch auf Studien- und Praxisverträge anzuwenden. Sollten Sie in der Situation sein, dass Sie mit dem vom Arbeitgeber im Anschluss an das Studium angebotenen Übernahmevertrag nicht zufrieden sind und diesen nicht annehmen oder „vorzeitig“ kündigen möchten, könnte es sich lohnen, diesen Vertrag überprüfen zu lassen.
(eingestellt am 15.06.2022)