Tipps und Urteile

Wer sich über die Chat-Funktion auf eine in dem Portal „eBay Kleinanzeigen“ veröffentlichte Stellenausschreibung bewirbt, ist Bewerber im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).
An die Annahme eines Rechtsmissbrauchs von Seiten des Bewerbers sind hohe Anforderungen zu stellen. (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.06.2022, Aktenzeichen 2 Sa 21/22)

Die potentielle Arbeitgeberin (im folgenden: Beklagte) hatte über das Internetportal „eBay Kleinanzeigen“ eine „Sekretärin in Vollzeit“ gesucht.
Der Bewerber und spätere Kläger meldete sich über die Chat-Funktion. Er teilte darin mit, dass er über Berufserfahrung im Büro verfüge und sich auch in Gesetzen gut auskenne.
Er fragte nach, ob die Beklagte ausschließlich eine Frau suchen würde?
Ca. 6 Stunden später hakte er nach und bat um eine kurze Rückmeldung.
Am Folgetag, ca. 24 Stunden später, fragte die Beklagte nach, warum der Kläger sich melde. Der Kläger antwortete, dass er wegen der ausgeschriebenen Stelle geschrieben habe und dass er um Mitteilung bitte, ob ausschließlich eine Frau gesucht werde. Die Beklagte teilte dem Kläger mit, dass sie „eine Dame als Sekretärin“ suche. Sie wünschte dem Kläger alles Gute.
Der Kläger rief am 30.04.2021 bei der Beklagten an und beschwerte sich über die Diskriminierung. Er wurde von der Beklagten jedoch unter Hinweis auf das Geschlecht abgewiesen.
So schrieb er einen Monat später an die Beklagte und verlangte eine Entschädigung von 7800,00 €. Er, so der Kläger, hätte wahrscheinlich bei der Beklagten 2600,00 € brutto monatlich verdient. Er habe keine andere Anstellung gefunden und beziehe deshalb derzeit Arbeitslosengeld.

Das Arbeitsgericht Elmshorn hatte die Klage abgewiesen. Der Kläger hatte mit der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Erfolg. Die Beklagte wurde verurteilt, an den Kläger 7800,00 € brutto zu zahlen. Eine Revision wurde nicht zugelassen.

Das Arbeitsgericht Elmshorn war dem Einwand der Beklagten gefolgt, es habe sich nicht um eine Bewerbung im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 allgemeines Gleichbehandlungsgesetz gehandelt.

Das Arbeitsgericht Elmshorn war noch dem Einwand der Beklagten gefolgt, es habe sich nicht um eine Bewerbung, sondern eine Voranfrage gehandelt und deshalb sei der Kläger nicht Bewerber im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Das Arbeitsgericht Elmshorn hatte argumentiert, der Kläger habe nicht ein Mindestmaß an Informationen zu seiner Qualifikation an die Beklagte übermittelt.
Dieser Auffassung folgte das Landesarbeitsgericht nicht. Die Beklagte habe das Portal genutzt, um eine Stelle auszuschreiben. Der Kläger habe über die Chat-Funktion ausdrücklich erklärt, er bewerbe sich auf diese Stelle. Es handele sich somit um ein digitales Bewerbungsschreiben. Das Gesetz fordere kein Mindestmaß an Informationen zur Qualifikation.
Auch den weiteren Einwänden der Beklagten folgte das Gericht nicht:
Die Beklagte hatte sich auf Rechtsmissbrauch des Klägers berufen. Der Kläger habe nur beabsichtigt, sich in die formale Position eines Bewerbers zu bringen. Das werde auch aus der Nachfrage bei der Beklagten deutlich, ob tatsächlich nur eine Frau gesucht werde.
Diese Nachfrage lässt sich nach Auffassung des Landesarbeitsgericht auch dadurch erklären, dass der Kläger erstaunt war über diese deutliche Diskriminierung.
Der Kläger hatte außerdem vor Erhebung der Klage ein juristisch formuliertes Vergleichsangebot an die Beklagte übersandt. Dies wertete das Gericht ebenfalls nicht als Anzeichen für einen Rechtsmissbrauch. Wenn der Kläger sich im Rahmen seines Studiums mit Arbeitsrecht auseinandergesetzt habe, könne er die erworbenen Kenntnisse auch im privaten Bereich anwenden, soweit er sich betroffen fühle. Das Gericht hielt dem Kläger zugute, dass er sogar außergerichtlich noch versucht hatte, eine gütliche Einigung zu erzielen.
Der Kläger hatte auch auf sein Studium des Wirtschaftsrechts und eine hohe kaufmännische Ausbildung hingewiesen. Dies wäre auch kein Hinweis auf rechtsmissbräuchliches Verhalten. Denn der Verweis auf diese Qualifikationen könne auch als „Werbemaßnahme“ verstanden werden.
Die Beklagte hatte den Kläger zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, allerdings erst nach ihrer zuvorigen Absage. Der Kläger war dieser Einladung nicht gefolgt. Auch darin sah das Gericht keinen Hinweis auf rechtsmissbräuchliches Verhalten. Das Gericht ging davon aus, dass diese Einladung auch erfolgt sein könnte, um Entschädigungsansprüche abzuwenden. Es sei klar, dass nach einer einmal erfolgten Absage nicht mehr dieselben Erfolgsaussichten für eine Bewerbung bestehen würden wie ohne die Absage.
Auch, dass der Kläger sich eines Formularschreibens bedient habe, um den Anspruch auf Entschädigung geltend zu machen, wertete das Gericht nicht als Hinweis auf Rechtsmissbrauch.

Das Gericht wies darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Anforderungen, die an die Feststellung eines Rechtsmissbrauchs zu stellen sind, sehr hoch sind. Die Darlegungs- und Beweislast liege bei der potentiellen Arbeitgeberin.

So deute es nicht automatisch auf Rechtsmissbrauch hin, wenn eine Person bereits mehrere Entschädigungsprozesse geführt habe. Denn ein solches Vorgehen lässt sich auch damit erklären, dass die Person ernsthaftes Interesse an der ausgeschriebenen Stelle gehabt habe und sich im Falle der Diskriminierung in zulässiger Weise gerichtlich gewehrt habe.
Auch, wenn eine Person sich häufig auf diskriminierende Stellenanzeigen beworben hat, lasse sich nicht auf Rechtsmissbrauch schließen. Das folge schon daraus, dass ein Bewerber sich mit gerichtlichem Vorgehen auch einem erheblichen Kostenrisiko aussetzt, wenn er den Rechtsstreit verliert.

Rechtsmissbrauch könne nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden, wenn ein „systematisches und zielgerichtetes Vorgehen“ der Person feststellbar sei, „dass auf der Erwägung beruht, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise werde letztlich ein auskömmlicher „Gewinn“ verbleiben, weil der Arbeitgeber – sei es bereits unter dem Druck einer angekündigten Entschädigung- bzw. Schadensersatzklage oder im Verlaufe eines Prozesses – freiwillig die Forderung erfüllt oder sich vergleichsweise auf eine Zahlung einlässt“.

Gegen die Höhe des Schadensersatzanspruchs hatte die Beklagte noch eingewandt, sie habe eine Bewerberin gefunden, die an 4 Nachmittagen pro Woche für einen Bruttoverdienst von 960,00 € arbeite. Dem folgte das Gericht nicht, weil die Beklagte ursprünglich eine Vollzeitstelle ausgeschrieben hatte, auf die der Kläger sich beworben habe. Das Gericht ging davon aus, dass im Umland des Sitzes der Beklagten an Sekretärinnen 2700,00 € zu zahlen sei. Deshalb sei die Forderung des Klägers nicht überzogen.

Bewertung / Tipp:
Das Urteil ist juristisch gut begründet und richtig.
Nach Lektüre habe ich den Eindruck, dass es wie so häufig auch hier so war, dass die vollen harten Konsequenzen des Gesetzes „die kleinen“ (Unternehmen) treffen.
Hier ausnahmsweise einmal ein Tipp an Arbeitgeber, der aber für Arbeitnehmer dieselbe Relevanz hat: Vor einer juristisch relevanten Aktion den Rat eines Anwalts einzuholen – der Geld kostet –, kann viel Geld sparen helfen!
(eingestellt am 01.09.2022)