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Wie wird die Zeit der Betriebsratstätigkeit von nicht freigestellten Betriebsratsmitgliedern bezahlt? Welche Grenzen gelten für die Vereinbarung einer Berechnung der Vergütung der Betriebsrats-Tätigkeitszeit zwischen Betriebsratsmitglied und Arbeitgeber? (Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 10.05.2022, Aktenzeichen 3 Ca 74/21)
Der Kläger dieses Rechtsstreits (Arbeitnehmer) ist stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Betriebsrats eines Autohauses, das von der Beklagten (Arbeitgeberin) geführt wird.
Wenn ein Arbeitnehmer einen festen Stundenlohn bezieht oder ein festes Gehalt, ist die Berechnung der Vergütung, die durch Betriebsratstätigkeit ausfällt, einfach.
Im vorliegenden Fall lag der Berechnung der Vergütung des Arbeitnehmers eine komplizierte Provisionsregelung zugrunde. Er hatte Anspruch auf ein Fixum von 900 €. Der Rest war zu errechnen aus Provisionen und Verkaufsprämie. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag des Kraftfahrzeuggewerbes Hamburg Anwendung. Aus diesem ergab sich die Berechnung. Es waren aber immer noch ungeklärte Fragen vorhanden, die in der Vergangenheit zu Streitigkeiten zwischen dem Arbeitnehmer und der Arbeitgeberin geführt hatte. So war es zu einem Arbeitsgerichtsprozess gekommen, in dem darüber gestritten wurde, wie die wegen Betriebsratstätigkeit ausgefallene Arbeitszeit zu vergüten sei. Der Rechtsstreit endete am 14.11.2014 mit einem Vergleich. Darin wurden die Berechnungsmodalitäten geregelt.
Der Kläger war erheblich mit Betriebsratstätigkeit beschäftigt. Der Anteil der Betriebsratstätigkeit an der gesamten Arbeitszeit des Arbeitnehmers war zwischen den Parteien strittig.
Er war der Auffassung, dass die Vereinbarung in dem gerichtlichen Vergleich aus dem Jahr 2014 dem jetzigen, erheblich gestiegenen Arbeitsaufwand für die Betriebsratstätigkeit nicht mehr gerecht werde.
Er erhob eine sogenannte Stufenklage. Er verlangte damit zunächst von der Arbeitgeberin Auskunft darüber, wie sich das Gehalt von Arbeitnehmern, die mit ihm in ihrer betrieblichen Entwicklung vergleichbar sind, entwickelt hat sowie Auskunft über deren Arbeitsleistung und Vergütung. Im Anschluss sollte die Arbeitgeberin zur Zahlung der sich errechnenden Differenzbeträge verurteilt werden.

Das Arbeitsgericht Hamburg wies die Klage ab Ein Anspruch hätte sich nach Ansicht des Arbeitsgerichts Hamburg ergeben können, wenn die Parteien mit dem Gerichtsvergleich aus 2014 die Grenzen des Tarifvertrags nicht eingehalten hätten oder gegen das betriebsverfassungsrechtliche Besser- oder Schlechterstellungsverbot (§ 78 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz) verstoßen hätten.
Beide Voraussetzungen waren hier nach Ansicht des Arbeitsgerichts Hamburg nicht gegeben.

Wenn, wie hier, die Vergütung sich aus verschiedenen Bestandteilen zusammensetze und Gehaltsvariable nicht von der geleisteten Arbeitszeit, sondern von verschiedenen Faktoren abhängen würden, könnten, so das Arbeitsgericht, verschiedene Indizien für die Ermittlung dessen, was das Betriebsratsmitglied ohne die Arbeitsbefreiung verdient hätte, herangezogen werden, beispielsweise, wie es in diesem Fall praktiziert worden war, auf die Leistung des Betriebsratsmitglieds in der verbleibenden Arbeitszeit abzustellen oder auch einen Vergleichszeitraum aus der Zeit vor der Betriebsratstätigkeit heranziehen.
Gewisse Unschärfen würden sich aus dieser hypothetischen Betrachtung immer ergeben. In dem Spannungsfeld zwischen dem Verbot der Begünstigung und dem Verbot der Schlechterstellung des Betriebsratsmitglieds müsse es für die Arbeitsvertragsparteien einen gewissen „Einschätzungskorridor“ geben. Eine gewisse Schwankungsbreite bei den von den Parteien hypothetisch angenommenen Tatsachen sei zu akzeptieren. Wenn die Parteien sich innerhalb dieser Schwankungsbreite befänden, liege weder eine Begünstigung oder Schlechterstellung des Betriebsrats vor, sondern lediglich eine Einschätzung des zu Erwartenden, die ihrer Dispositionsbefugnis unterliegen würden.
Das Gericht sah keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Schlechterstellung des Betriebsrats. Der Arbeitnehmer hatte die Auffassung vertreten, dass seine Vergütung mit höherem Umfang der Betriebsratstätigkeit sinke. Diese Behauptung hielt das Gericht für nicht „hinreichend greifbar“. Denn der Verkaufserfolg eines Autoverkäufers hänge nicht nur von der Arbeitszeit, sondern von weiteren Faktoren ab, „insbesondere soziale Kompetenz, Engagement, Leistungsbereitschaft, Initiative, produktgerechte Verkaufstechniken etc.“.
Auch Anhaltspunkte für eine Störung der Geschäftsgrundlage aus § 313 BGB sah das Gericht nicht. Eine solche käme in Betracht, wenn sich Umstände, die zur Vertragsgrundlage gemacht worden sind, gravierend geändert hätten. Der Kläger habe es aber selbst bis zur Grenze von § 23 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz (grobe Verstöße gegen Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz) in der Hand, zu steuern, wie viel Zeit er für Betriebsratstätigkeit aufwenden würde.
Es stehen seinem Ermessen als Betriebsratsmitglied, welche Aufgaben er innerhalb des Gremiums übernehmen würde.

Bewertung / Tipp:
Einen Zusammenhang zwischen dem Absinken der Arbeitszeit und den Verkaufserfolgen hielt das Gericht für nicht hinreichend greifbar. Hier hat das Gericht nach meiner Auffassung zu hohe Anforderungen an den Vortrag des Arbeitnehmers gestellt. Denn es erscheint schon gut nachvollziehbar, dass ein Verkäufer, der wegen Betriebsratstätigkeit nicht zeitnah auf Kundenanforderungen eingehen kann oder auch nicht in der Lage ist, den Kunden in ausreichendem Umfang zu betreuen, geringere Verkaufszahlen erreicht.
Eventuell hat der Arbeitnehmer auch in der Berufungsinstanz noch die Möglichkeit, seinen Vortrag zu ergänzen (Berufung ist eingelegt).
Auch die Argumentation, das Betriebsratsmitglied könne – quasi zur Vermeidung von Vergütungsausfällen – seine Betriebsratstätigkeit einschränken, notfalls bis an die Grenze der gesetzlichen Verpflichtungen aus dem Betriebsratsamt, überzeugt nicht. Das widerspricht der Grundentscheidung des Gesetzgebers für die Einführung und den Schutz von Betriebsräten. Das Gesetz will mutige und engagierte Betriebsräte. Betriebsräte, die zum Erhalt ihrer Vergütung nur noch einen Minimaldienst ausüben, werden dem Grundgedanken des Betriebsratsamts nicht gerecht.
(eingestellt am 30.09.2022)