Tipps und Urteile

Der Arbeitnehmer darf sich über einen Arbeitskollegen als Boten arbeitsunfähig krank melden. Eine persönliche Abmeldung beim Vorgesetzten ist nicht notwendig (Arbeitsgericht Emden, Urteil vom 16.08.2022, Aktenzeichen 2 Ca 263/21)
Man kann dem Sachverhalt des Urteils entnehmen, dass es zum Zeitpunkt dieses Urteils schon einen Rechtsstreit wegen mehrerer Kündigungen des Arbeitsverhältnisses gab. Das dürfte erklären, warum der vorliegende Rechtsstreit so eskaliert ist.
Im vorliegenden Rechtsstreit ging es um die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte des Klägers. Der Kläger hatte einen solchen Antrag bei dem Arbeitsgericht Emden gestellt.
Vorgeschichte der Abmahnung war, dass der Kläger sich am Arbeitsplatz verletzt hatte. Nachdem er durch eine Ersthelferin mit einem Pflaster verarztet worden war, arbeitete er zunächst weiter. Im Verlauf des Arbeitstages verließ er dann aber doch den Arbeitsplatz, um sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Er meldete seine krankheitsbedingte Abwesenheit vom Arbeitsplatz über einen Kollegen an die Arbeitgeberin.
Von der Arbeitgeberin wurde mit der Abmahnung gerügt, er habe sich bei einem Vorgesetzten und nicht über einen Arbeitskollegen abzumelden. Dieser Ansicht folgte das Arbeitsgericht Emden nicht. Grundsätzlich, so das Arbeitsgericht, genüge es, wenn ein erkrankter Arbeitnehmer sich bei einem Mitarbeiter abmeldete, der zur Entgegennahme von Erklärungen befugt ist.
Ein Kollege ist nicht befugt, solche Meldungen entgegenzunehmen. Doch spricht nichts dagegen, wenn ein Arbeitnehmer sich zur Abgabe seiner Arbeitsunfähigkeitsmeldung eines Kollegen als Boten bedient. Dann allerdings trage der Arbeitnehmer das Risiko der nicht rechtzeitigen oder nicht korrekten Übermittlung.
Vorliegend war die Meldung von dem Kollegen sowohl unverzüglich als auch korrekt abgegeben worden. Dementsprechend gab das Arbeitsgericht Emden der Klage statt und verurteilte die Arbeitgeberin, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.

Bewertung / Tipp:
Man muss sich wundern, dass über solche Fragen Gerichte entscheiden müssen. Allerdings habe ich auch schon aus einem großen Bremer Betrieb gehört, dass von der Arbeitgeberin den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern abverlangt wird, sich persönlich beim Vorgesetzten arbeitsunfähig zu melden. Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage. Es kommt darauf an, dass der Arbeitgeber die Meldung so schnell wie möglich erhält, damit er sich darauf einstellen kann, dass eine Kollegin oder ein Kollege fehlt. Das ist der Sinn der Arbeitsunfähigkeitsmeldung, nicht etwa eine Kontrolle des Vorgesetzten dahingehend, ob Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirklich krank sind.

Ich empfehle sogar ausdrücklich, sich in Situationen, die schon „knistern“, also konfliktgeladen sind, besser eines Boten für die Arbeitsunfähigkeitsmeldung zu bedienen (zum Beispiel Ehegatte, Freundin, Freund). So hat man einen Zeugen und es ist dem Fall vorgebeugt, dass der zuständige Vorgesetzte die Meldung „vergisst“.

Noch ein Tipp: von noch unerfahrenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird oft die Wichtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsmeldung unterschätzt. Diese rechtzeitig zu machen ist wichtiger, als die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtzeitig abzugeben. Der Arbeitgeber soll so schnell wie möglich in die Lage versetzt werden, zu disponieren.

Und zum Thema Abmahnung:
Es ist nicht immer sinnvoll, eine Entfernung einer Abmahnung geltend zu machen, sei es gerichtlich oder außergerichtlich. Dazu sollten Sie sich immer anwaltlich beraten lassen.
(eingestellt am 08.12.2022)