Tipps und Urteile

Der Arbeitgeber hat ein Recht auf Einsichtnahme in die Wahlakten. Bei Darlegung eines berechtigten Interesses hat er auch das Recht auf Einsichtnahme in Unterlagen, die auf das Wahlverhalten der Arbeitnehmer schließen lassen können. (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.11.2021, Aktenzeichen 7 TaBVGa 1213/21)
§ 19 der Wahlordnung verpflichtet den gewählten Betriebsrat, die Wahlakten mindestens bis zur Beendigung seiner Amtszeit aufzubewahren.

Daraus ergibt sich nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg auch die Verpflichtung, dem Arbeitgeber auf Verlangen Einsicht in die Wahlakten zu gewähren. Die Verpflichtung des Betriebsrats zu Gewährung von Einsichtnahme besteht, so das Landesarbeitsgericht, zumindest gegenüber den Personen, die gemäß § 19 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz zur Wahlanfechtung berechtigt sind. Das sind laut Gesetzestext 3 Wahlberechtigte, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber.

Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber in einem gesonderten Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin-Brandenburg die Wahl eines am 17.06.2021 gewählten Betriebsrats angefochten. Er begehrte im vorliegenden Verfahren die Einsicht in die vollständigen Wahlakten, um die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratswahl überprüfen zu können und in dem gesonderten Wahlanfechtungsverfahren vortragen zu können.

Das Landesarbeitsgericht stellte im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fest, dass grundsätzlich das Recht des Arbeitgebers auf Einsichtnahme in die Wahlakten nicht uneingeschränkt gelte. Für Bestandteile der Wahlakten, die Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Arbeitnehmer zuließen, gelte dies nicht. So dürfte grundsätzlich der Arbeitgeber die mit Stimmabgabevermerken des Wahlvorstandes versehenen Wählerlisten nicht einsehen, ebenso nicht von Briefwählern zurückgesandt Briefwahlunterlagen oder persönliche Schreiben einzelner Wahlberechtigter an den Wahlvorstand. Denn aus den Stimmabgabevermerken des Wahlvorstands bzw. den zurückgesandten Briefumschlägen im Briefwahlverfahren sei rückzuschließen, wer sich an der Wahl beteiligt hat und wer nicht. Auch die Entscheidung eines Arbeitnehmers, an einer Betriebsratswahl teilzunehmen oder nicht, sei nämlich eine Wahlentscheidung, die auch durch das Wahlgeheimnis geschützt sei.

Im vorliegenden Fall wurde aber dem Arbeitgeber vollständige Einsicht in die Wahlakten gewährt, also auch die Bestandteile, die Rückschlüsse auf das Wahlverhalten zulassen. Die Arbeitgeberin habe ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme in die vollständigen Unterlagen dargetan. Sie habe vorgetragen, dass sie sie benötige, um prüfen zu können, ob es Fehler gegeben habe, die sie noch in dem Wahlanfechtungsverfahren vortragen könne. Aus einem Vergleich der Stimmabgabevermerke mit den Briefwahlumschlägen bzw. Stimmzetteln könnten sich beispielsweise Differenzen ergeben, die einen Schluss auf Fehler bei dem Wahlverfahren zuließen.
Die Stimmabgabevermerke und auch die Feststellung der Teilnahme an der Briefwahl seien nicht absolut durch Geheimhaltung geschützt. Das ergebe sich dadurch, dass die Freiumschläge nach der Wahlordnung öffentlich zu öffnen sind (§ 26 Wahlordnung). Die Wahlvermerke würden im Wahllokal vor der Stimmenabgabe gefertigt. Insoweit sei das Wahlverhalten auch durch entsprechende Beobachtungen feststellbar.

Bewertung / Tipp
Bei einer einfachen Einsichtnahme in die Wahlakten ohne den Hintergrund einer Wahlanfechtung sind die Unterlagen, die Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Arbeitnehmer zulassen, vom Betriebsrat geheim zu halten. Nur bei berechtigtem Interesse sind die vollständigen Wahlakten zu Einsichtnahme zu überlassen.

So wichtig die Überprüfung der Ordnungsgemäßheit einer Betriebsratswahl ist: in der Praxis ist leider häufig festzustellen, dass es Arbeitgebern, die solche Verfahren betreiben, nicht darum geht, die Grundsätze einer demokratischen Wahl zu verwirklichen, sondern eine Betriebsratswahl zu verhindern oder sonstige eigene Interessen – zum Beispiel die Wahl eigener Favoriten – durchzusetzen.

Betriebsratsgremien und Wahlvorständen rate ich daher dringend, vor Beginn der Wahl an Wahlvorstandsschulungen teilzunehmen. Ich biete selbst solche an. Melden Sie sich bei Bedarf gern.
(eingestellt am 22.03.2022)