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Arbeitnehmer, die als Fahrradlieferant arbeiten, haben Anspruch auf ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.11.2021, Aktenzeichen 5AZR 334/21)
Die Arbeitgeberin ist offensichtlich ein sogenanntes „Startup-Unternehmen“.
Bei ihr bzw. der Rechtsvorgängerin war der Kläger (in der stark beschönigenden Unternehmenssprache als sogenannter „Rider“ benannt) seit dem 13.12.2016 als Fahrradlieferant beschäftigt. Er lieferte Speisen und Getränke aus. Für die Entgegennahme der Einsatzpläne und die Adressen der Restaurants, von denen aus er die Waren ausliefern sollte sowie der Lieferadressen nutzte er eine App auf seinem eigenen Smartphone. Dafür benötigte er ein Datenvolumen von bis zu 2 GB. Außerdem nutzte er sein eigenes Fahrrad. Smartphone und Fahrrad benötigte der Kläger unabdingbar für die Ausführung der Arbeit. Er erhielt für die Nutzung des Fahrrads 0,25 € / Stunde für Fahrradreparaturen, die er bei einer ganz bestimmten Firma sollte abrufen können.
Es bestand ein schriftlicher Arbeitsvertrag, der beinhaltete, dass der Arbeitgeber bestimmte Gegenstände für die Arbeitsleistung überließ, die werthaltigen Gegenstände, also das Mobiltelefon und das Fahrrad, jedoch nicht. Das wollte der Kläger nicht weiter akzeptieren und beantragte beim Arbeitsgericht sinngemäß, die Arbeitgeberin zu verurteilen, ihm ein internetfähiges Mobiltelefon und ein verkehrstüchtiges Fahrrad zur Verfügung zu stellen.

Bei dem Arbeitsvertrag handelte es sich, da er für den Abschluss einer Vielzahl von Verträgen geeignet war, um eine allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des Gesetzes. Das Bundesarbeitsgericht ging davon aus, dass die Nutzung des Mobiltelefons und des Fahrrads den Kläger unangemessen benachteiligt und daher gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam ist. Die arbeitsvertragliche Regelung führt dazu, dass die Arbeitgeberin nicht die Kosten der Anschaffung dieser Gegenstände, die Kosten des Wertverfalls und des Verschleißes sowie das Risiko des Verlustes oder der Beschädigung der zentralen Arbeitsmittel tragen muss. Diese Kosten und Risiken übertrage die geschlossene Vereinbarung vollständig auf den Arbeitnehmer. Das widerspräche dem gesetzlichen Grundgedanken, wonach der Arbeitgeber die wesentlichen Arbeitsmittel zu stellen und für deren Einsatzfähigkeit und Funktionsfähigkeit zu sorgen hat.
Der von der Arbeitgeberin vorgesehene Aufwendungsersatz stelle keine angemessene Gegenleistung der Arbeitgeberin dar. Denn der von der Arbeitgeberin dafür vorgesehene Betrag stehe allenfalls mittelbar in Beziehung zu der Kilometerleistung und damit der Abnutzung des Fahrrades und müsse darüber hinaus bei einem bestimmten Unternehmen eingelöst werden. Für die Nutzung des Mobiltelefons werde darüber hinaus von der Arbeitgeberin kein Ersatz geleistet.

Bewertung:
Eine begrüßenswerte Entscheidung, die das grundlegende Geschäftsmodell dieser Startup- Lieferantenunternehmen mit Billigstlöhnen, hohen körperlichen Anforderungen an die Arbeitnehmer und auch noch Überwälzung eines beträchtlichen Teils des Unternehmensrisikos infrage stellt. Man gibt sich hier den Anstrich eines modernen, - weil internetgestützten - Geschäfts, aber tatsächlich ist das ein Botendienst-Modell aus dem vorletzten Jahrhundert.