Tipps und Urteile

Der Betriebsrat ist bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung verpflichtet, auf Anforderung des Arbeitgebers hin dem Arbeitgeber einen Auszug aus der Sitzungsniederschrift der Betriebsratssitzung zu übermitteln, aus dem sich die ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats zum Abschluss der Betriebsvereinbarung ergibt. (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.02.2022, Aktenzeichen 1 AZR 233/21)
Arbeitnehmer und Arbeitgeberin dieses Rechtsstreits stritten sich um die korrekte Eingruppierung des Arbeitnehmers nach einem Tarifvertrag der IG Metall. Nach diesem Tarifvertrag muss in einer Betriebsvereinbarung die Methode der Eingruppierung näher geregelt werden. Bisher war der Arbeitnehmer aufgrund einer Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1967 eingruppiert worden. Die Arbeitgeberin berief sich auf eine Betriebsvereinbarung, die der Vorsitzende des Betriebsrats und die Arbeitgeberin im Jahre 2017 unterzeichnet hatten. Der Arbeitnehmer bestritt, dass der Betriebsrat einen ordnungsgemäßen Beschluss über den Abschluss der Betriebsvereinbarung gefasst habe.

Das Landesarbeitsgericht hatte der Arbeitgeberin recht gegeben. Nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichts wäre der Arbeitnehmer also entsprechend der Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2017 eingruppiert worden. Das Bundesarbeitsgericht hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und verwies es zur Entscheidung zurück in die 1. Instanz.

Das Landesarbeitsgericht hatte entschieden, dass von einem wirksamen Zustandekommen der Betriebsvereinbarung ausgegangen werden müsse. Das ergebe sich aus den Rechtsgrundsätzen über eine Anscheinsvollmacht.
Dieser Auffassung trat das Bundesarbeitsgericht entgegen. Denn eine Anscheinsvollmacht setze voraus, „dass der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und die andere Vertragspartei darauf vertraut hat oder vertrauen durfte, der Vertretene kenne und billige das Handeln des Vertreters.“
Diese Grundsätze gelten allgemein für zivilrechtliche Vertragsverhandlungen.
Das Bundesarbeitsgericht weist in seiner Entscheidung aber darauf hin, dass diese Grundsätze auf das Verhältnis zwischen dem Betriebsrat und seinem Vorsitzenden so nicht angewendet werden kann. Denn gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz vertrete der Vorsitzende den Betriebsrat nur im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Im Gegensatz zu einem durch Vollmacht oder durch Gesetz bestimmten Vertreter erfolge „keine Vertretung im Willen, sondern lediglich in der Erklärung“.
Der Betriebsrat ist befugt, innerhalb des Betriebs durch Abschluss von Betriebsvereinbarungen Recht zu schaffen. Dies Recht erfordert nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts eine Willensbildung, die demokratischen Grundsätzen gerecht wird.
Hinzu kommt, wie das Bundesarbeitsgericht sinngemäß ausführt, dass eine Betriebsvereinbarung nicht allein Rechtswirkungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung entfaltet. Sie gilt unmittelbar und zwingend ohne jede Voraussetzung für die Arbeitnehmer des Betriebs (§ 77 Abs. 4 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz).
Der Schutz einer Anscheinsvollmacht im Verhältnis Betriebsrat – Arbeitgeber würde sich rechtlich zulasten Dritter – nämlich der Arbeitnehmer des Betriebs – auswirken.

Arbeitnehmer können, wie dieser Prozess zeigt, noch nach langer Zeit bestreiten, dass ein Beschluss eines Betriebsrats über Abschluss einer Betriebsvereinbarung ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Um sich davor schützen zu können, benötigt der Arbeitgeber eine § 34 Abs. 2 Satz 1 entsprechende Abschrift der Sitzungsniederschrift des Betriebsrats. Aus ihr muss sich die ordnungsgemäße Beschlussfassung ergeben. Es muss nur der Teil der Sitzungsniederschrift übergeben werden, der sich auf die Beschlussfassung bezieht.

Die Verpflichtung des Betriebsrats, eine solche Niederschrift auszuhändigen, leitet das Bundesarbeitsgericht aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Betriebsparteien (§ 2 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz) her. Auf zeitnahe Anforderung des Arbeitgebers, also kurzfristig nach Unterschrift von Geschäftsführung und Betriebsratsvorsitzendem unter eine Betriebsvereinbarung, ist der Betriebsrat verpflichtet, die Niederschrift auszuhändigen.

Interessant noch:
Das Bundesarbeitsgericht sieht in dieser Absage an die Regeln der Anscheinsvollmacht für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung keinen Widerspruch zu der sogenannten „Sphärentheorie“, die das Bundesarbeitsgericht für die Betriebsratsanhörung bei Anhörungen zu Kündigungen gemäß § 102 Betriebsverfassungsgesetz entwickelt hat. Nach dieser Rechtsprechung gehen Mängel in der Beschlussfassung zu einer beabsichtigten Kündigung, die sich in der Sphäre des Betriebsrats abspielen, nicht zulasten des Arbeitgebers. Würde also zu einer Anhörung zur Kündigung eines Arbeitnehmers der Betriebsratsvorsitzende eine Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber abgeben, die nicht durch einen Beschluss des Betriebsrats abgedeckt wäre, könnte der betroffene Arbeitnehmer sich gegenüber dem Arbeitgeber auf einen solchen Fehler nicht berufen.
Den Unterschied in dem Anhörungsverfahren gemäß § 102 Betriebsverfassungsgesetz zu Beschlüssen über die Zustimmung zu einer Betriebsvereinbarung sieht das Bundesarbeitsgericht darin:
§ 102 Abs. 2 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz fingiert die Zustimmung des Betriebsrats zu einer Kündigung, falls der Betriebsrat sich nicht innerhalb der Wochenfrist zu der vom Arbeitgeber mitgeteilten beabsichtigten Kündigung äußert. Dieser Rechtsnachteil, so das Bundesarbeitsgericht, soll den betroffenen Arbeitnehmer erst recht treffen, wenn der Betriebsrat sich zwar zu der beabsichtigten Kündigung gegenüber dem Arbeitgeber äußert, seine Stellungnahme aber in einem fehlerhaften Verfahren zustande gekommen ist.
Für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen gibt es eine solche Zustimmungsfiktion hingegen nicht.

Bewertung / Tipp:
Die Verpflichtung des Betriebsrats, an den Arbeitgeber auf dessen Anforderung eine Niederschrift über den Teil der Sitzungsniederschrift des Betriebsrats, der die ordnungsgemäße Beschlussfassung über den Abschluss der Betriebsvereinbarung dokumentiert, auszuhändigen, hat das Bundesarbeitsgericht sehr sorgfältig und überzeugend hergeleitet.
Auch (und nicht nur) aus diesem Grund ist es den Betriebsräten zu empfehlen, entsprechend den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes sorgfältig zu arbeiten, zu Betriebsratssitzungen ordnungsgemäß zu laden und Beschlüsse ordentlich zu protokollieren.