Tipps und Urteile

Nach einer Abmahnung wegen eines Sachverhalts kann der Arbeitgeber wegen dieses Sachverhalts nicht mehr kündigen. (Arbeitsgericht Wiesbaden, Urteil vom 26.05.2021, Aktenzeichen 11 Ca 736/20)
Der Arbeitnehmer des vorliegenden Verfahrens, ein Straßenbauer / Baumaschinenführer, war auf einer Baustelle seiner Arbeitgeberin, die sich auf einem Firmengelände einer Firma befand, die Lebensmittel verpackte, eingesetzt. Er war am 02.11.2020 um 7:15 Uhr von Mitarbeitern der Firma auf die Maskenpflicht auf dem Gelände hingewiesen worden. Um 7:30 Uhr wies der Bauleiter der Arbeitgeberin ihn erneut darauf hin. Der Bauleiter erklärte ihm, dass bereits 2 Mitarbeiter der Arbeitgeberin einen positiven COVID-19 Befund erhalten hätten. Der Arbeitnehmer weigerte sich, eine Maske zu tragen und verließ die Baustelle.
Am Folgetag, dem 03.02.2022 erschien der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit. Er teilte der Arbeitgeberin auch nicht mit, dass er verhindert sei. Er wäre nach den bei der Arbeitgeberin bestehenden Regeln verpflichtet gewesen, zwischen 8:00 Uhr und 9:00 Uhr die Personalabteilung über Verhinderungen zu informieren.
Die Beklagte erteilte dem Kläger mit Schreiben vom 13.10.2020 eine Abmahnung wegen der Vorfälle vom 2. und 03.11.2020. Ebenfalls mit Schreiben vom 13.10.2020 hörte die Arbeitgeberin den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung an.
Die Arbeitgeberin kündigte dann mit Schreiben vom 20.11.2020 das Arbeitsverhältnis auch mit der gültigen Kündigungsfrist.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden erklärte die Kündigung für rechtsunwirksam. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts hatte die Arbeitgeberin durch die Abmahnung vom 13.11.2020 auf ihr Kündigungsrecht konkludent (= durch schlüssiges Verhalten, R.-C. B.) verzichtet. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt in einer Abmahnung an den Arbeitnehmer die Erklärung, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis noch nicht so nachhaltig gestört sieht, dass er eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für unzumutbar hält. Daher durfte der Kläger das Abmahnschreiben so verstehen, dass die Arbeitgeberin die Vorfälle vom 2. und 03.11.2020 nicht mehr als Kündigungsgrund heranziehen werde.

Bewertung / Tipp:
Dass eine Abmahnung den abgemahnten Sachverhalt „als Kündigungsgrund verbraucht“, gehört zum kleinen Einmaleins jedes Arbeitsrechtlers. Das ist seit langem ständige höchstrichterliche Rechtsprechung. Im allgemeinen Rechtsbewusstsein ist dieser Grundsatz aber, wie man an diesem Fall sieht, immer noch nicht angekommen.
(eingestellt am 22.06.2022)