Tipps und Urteile

Führt eine Versetzungsanordnung des Arbeitgebers zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung des Arbeitnehmers, so kann die Versetzungsanordnung unwirksam sein. Dann ist auch eine einstweilige Verfügung gegen eine Versetzung zulässig (Arbeitsgericht Bremen, Urteil vom 13.09.2021, Aktenzeichen 3 Ga 306/21).
Die Arbeitgeberin ist im Flugzeugbau tätig. Sie besitzt Standorte in Bremen und Hamburg. In Bremen werden Flugzeugteile für große Mittel- und Langstreckenflugzeuge gebaut, in Hamburg Flugzeugteile für kleinere Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge. (Es handelt sich also um das Unternehmen AIRBUS in Bremen.)

Es ging um ein einstweiliges Verfügungsverfahren. Der Kläger war in Bremen tätig. Hier gab es eine mangelnde Nachfrage. Die mangelnde Nachfrage in Bremen dürfte durch die Corona-Pandemie zu erklären sein. Die Arbeitgeberin ordnete von April 2020 bis Ende Juli 2021 Kurzarbeit an. 
Gleichzeitig stieg in Hamburg die Nachfrage für die Teile für die kleineren Flugzeuge. Für die Produktion der größeren Flugzeugteile in Bremen besteht weiterhin eine Unterauslastung. Es ist nicht absehbar, wann diese Situation sich verbessert.
Deshalb vereinbarte die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat im Oktober 2020 einen Interessenausgleich und einen Sozialplan zum Personalabbau. Nachdem die Beklagte die in diesen Betriebsvereinbarungen vorgesehenen Maßnahmen zur Abmilderung durchgeführt hatte, entschied sie sich, 23 Beschäftigte von Bremen nach Hamburg zu versetzen. Unter diesen 23 Arbeitnehmern befanden sich 10 Ausrüstungselektriker. 2 Ausrüstungselektriker beschäftigte die Arbeitgeberin weiterhin in Bremen.
Der Sozialplan sah auch vor, dass die Arbeitnehmer, die von einer Versetzung betroffen sind, eine monatliche Aufwandspauschale bis zum Zeitpunkt eines Umzuges nach Hamburg erhalten. Zunächst 1100,00 € brutto pro Monat, dann in jährlichen Stufen jeweils 1/3 weniger, bis zur Höchstdauer von 3 Jahren. Außerdem vollständigen Ersatz der Kosten für tägliches Pendeln zwischen Bremen und Hamburg.

Der Kläger machte geltend, dass er wegen seines Gesundheitszustandes, den er näher schilderte, mit Gesundheitsschäden rechnen müsste, wenn er täglich pendeln müsste. Die von dem Kläger dargelegte Gesundheitsgefährdung wurde gestützt durch ein ärztliches Attest, das er vorlegte. Die Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln von seinem Wohnort zum Produktionsort in Hamburg dauert 2 Stunden und 51 Minuten – „keine zumutbare Alternative“, so das Arbeitsgericht. Die Fahrt mit dem eigenen Pkw geht schneller. Der Kläger konnte diese Variante der An- und Abreise aber wegen seines Gesundheitszustandes nicht durchführen. Auch der Umzug nach Hamburg und die zweimal wöchentliche An- und Abreise von Bremen nach Hamburg hielt das Gericht für gesundheitlich nicht zumutbar.

Wenn der Arbeitgeber eine Auswahlentscheidung zur Versetzung unter einer Mehrzahl von Arbeitnehmern treffen müsse, so müssten auch bei der Auswahlentscheidung soziale Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Es müssen dann die Arbeitnehmer für eine Versetzung ausgewählt werden, die am wenigsten schutzbedürftig sind. Das Gericht konnte aus dem Vortrag der Arbeitgeberin nicht erkennen, warum die 2 in Bremen verbleibenden Arbeitnehmer schutzbedürftiger als der Kläger sein sollten.

Bei Abwägung der Folgen, die sich entweder aus dem Erlass der einstweiligen Verfügung oder dem Nichterlass der einstweiligen Verfügung ergeben, kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger bei Nichterlass der einstweiligen Verfügung mit einer Gesundheitsgefährdung rechnen müsse. Das Gericht gab daher dem Antrag des Klägers statt.

Erläuterung:
Zu einer einstweiligen Verfügung muss man wissen: Sie regelt nur einen vorläufigen Zustand, nicht den endgültigen Zustand. Der Kläger musste hier neben dem Antrag auf eine einstweilige Verfügung im Eilverfahren auch noch einen Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Versetzung im Hauptverfahren stellen. Eine einstweilige Verfügung, die bereits im Eilverfahren den Zustand herstellt, den der Kläger eigentlich in dem ausführlicheren Hauptverfahren erreichen will, kann nach dem Gesetz nur erlassen werden, wenn ein gewichtiger Verfügungsgrund vorliegt.
Das Gericht nahm eine Abwägung vor zwischen den Folgen, die sich entweder aus dem Erlass der einstweiligen Verfügung oder dem Nichterlass der einstweiligen Verfügung ergeben:
Das Gericht musste abwägen zwischen den Nachteilen, die dem Kläger entstehen würden, wenn er im Hauptverfahren gewinnen würde, aber bis dahin die Versetzungsanordnung der Arbeitgeberin wirksam bliebe und den Nachteilen, die der Arbeitgeberin entstehen würden, wenn sie im Hauptverfahren gewinnen würde, bis dahin aber die einstweilige Verfügung wirksam werden würde und der Arbeitnehmer nicht von Bremen nach Hamburg pendeln würde:

Ein Nichterlass der einstweiligen Verfügung hätte, davon war das Gericht überzeugt, eine Gesundheitsgefährdung des Klägers zur Folge gehabt.
Auf der anderen Seite bedeutet ein Erlass der einstweiligen Verfügung wirtschaftliche Nachteile für die Arbeitgeberin. Diese werden aber, so das Gericht, dadurch relativiert, dass die Arbeitgeberin die nach dem Sozialplan geschuldeten Ausgleichsleistungen dem Kläger nicht erbringen muss.

Das Gericht stellte in seiner Abwägung die ungefährdete Gesundheit des Klägers über das wirtschaftliche Interesse der Arbeitgeberin.

Bei Zweifeln über die Wirksamkeit einer Versetzungsanordnung sollten Sie diese juristisch überprüfen lassen.