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Ein unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit an nur einem einzigen Arbeitstag rechtfertigt es regelmäßig nicht, eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung auszusprechen.
Für die Dauer einer vereinbarten Probezeit gilt die Kündigungsfrist von 2 Wochen gemäß § 622 Abs. 3 BGB. (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 03.06.2020, Aktenzeichen 1 Sa 72/20)

Die Klägerin in diesem Verfahren wurde von dem Arbeitgeber, einem Rechtsanwalt, als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte eingestellt. Im Arbeitsvertrag wurde eine 6-monatige Probezeit vereinbart. Für die Dauer der Probezeit sollte laut Arbeitsvertrag eine Kündigungsfrist von einer Woche gelten. Die Klägerin begann am 01.08.2019 mit der Arbeit. Am 05.08.2019 und 06.08.2019 erschienen sie vereinbarungsgemäß nicht zur Arbeit, weil ihr Sohn in der Kindertagesstätte eingewöhnt wurde. Während dieser Tage der Abwesenheit der Klägerin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis. Er legte für die Kündigung die einwöchige Kündigungsfrist zugrunde. Die Klägerin fehlte danach am 07.08.2019 an einem Tag unentschuldigt. Aus diesem Anlass kündigte der Arbeitgeber ein zweites Mal, diesmal fristlos.
Die Klägerin klagte auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die erste Kündigung beendet wurde, und zwar mit einer Frist nicht von einer Woche, sondern von zwei Wochen.
Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein stellte ebenso wie das erstinstanzliche Gericht (Arbeitsgericht Elmshorn) fest, dass ein einmaliges unentschuldigtes Fehlen nicht ausreicht, um eine fristlose Kündigung zu begründen. Die zweite Kündigung war also unwirksam. Außerdem stellte das Landesarbeitsgericht fest, dass die 2-wöchige Kündigungsfrist, die das Gesetz vorschreibt, nicht einzelvertraglich abänderbar ist. Es wurde also festgestellt, dass die erste Kündigung das Arbeitsverhältnis erst nach 2 Wochen fristgemäss beendete.

Der Arbeitgeber hatte eingewandt, es handele sich um eine Ungleichbehandlung, die gegen europarechtliche Grundsätze verstieße, wenn Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gemäss § 622 Abs 4 BGB von der gesetzlichen 2-Wochen-Frist abweichende Regelungen schaffen dürften, die Einzelparteien aber nicht.
Dieser Auffassung folgte das Landesarbeitsgericht nicht. Denn es ist seit langem in der Rechtsprechung anerkannt, dass es dem Gesetzgeber erlaubt ist, in einzelnen gesetzlichen Vorschriften Abweichungen zu Ungunsten von Arbeitnehmern zu gestatten, wenn diese in Tarifverhandlungen ausgehandelt sind.

Bewertung:
Das Urteil macht deutlich darauf aufmerksam, dass für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb der Probezeit immer die gesetzliche Kündigungsfrist von zwei Wochen gilt. Davon kann man durch einfachen Arbeitsvertrag nicht abweichen. Etwas anderes kann nur gelten, wenn es einen Tarifvertrag gibt. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass sich in Tarifverhandlungen – anders als bei Abschluss eines Arbeitsvertrages - zwei gleich starke Verhandlungspartner gegenüberstehen. Das führt dazu, dass die beiderseitigen Interessen, also Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen, eine angemessene Berücksichtigung finden.
Außerdem zeigt das Urteil für die fristlose Kündigung, dass in aller Regel eine Abmahnung vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung erforderlich ist. Das Landesarbeitsgericht hat deutlich darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber nur dann nicht abmahnen muss, wenn von vorneherein nicht zu erwarten ist, dass der Arbeitnehmer durch die Abmahnung zukünftig sein Verhalten ändern wird. Oder wenn es sich um eine so schwere Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis handelt, dass deren Hinnahme durch den Arbeitgeber für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist.
Das kann man von einem unentschuldigten Fehlen an nur einem Arbeitstag auf keinen Fall sagen.

(eingestellt am 15.05.2021)