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Nichttragen von Mund-Nase-Bedeckung oder Gesichtsvisier durch Rathausangestellten aus gesundheitlichen Gründen – darf die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer suspendieren? (Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 16.12.2020, Aktenzeichen 4 Ga 18/20)
Es ging hier um eine einstweilige Verfügung, die der Arbeitnehmer, der als Angestellter im Rathaus einer Gemeinde tätig war, beantragt hatte.
Die Arbeitgeberin ordnete mit Schreiben vom 06.05.2020 an, dass ab dem 11.05.2020 in den Räumlichkeiten des Rathauses eine Mund-Nase-Bedeckung von Besuchern und auch von Beschäftigten getragen werden musste. Daraufhin legte der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vom 08.05.2020 vor. Darin heißt es „Herr XXX ist heute von mir untersucht worden. Aufgrund einer Erkrankung, ist er vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes befreit“. Die Antragsgegnerin bat ihn, sich beim Werksarztzentrum untersuchen zu lassen. Danach legte der Angestellte ein Attest des Werksarztes vom 08.10.2020 vor. In dem Attest des Werksarztes wurde ausgeführt, dass das ärztliche Attest vom 08.05.2020 „aus arbeitsmedizinischer Sicht nach den Darstellungen des Mitarbeiters nachvollziehbar“ sei.
Mit Schreiben vom 04.11.2020 wies die Arbeitgeberin den Angestellten an, ausschließlich mit einem Gesichtsvisier die Räumlichkeiten des Rathauses zu betreten. Dieser legte wieder ein Attest vor, datiert auf den 11.11.2020. Darin heißt es: „Herr XXX ist heute von mir untersucht worden. Aufgrund einer Erkrankung ist er vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes oder alternativen Gesichtsvisieren jeglicher Art befreit.“ Dem Arbeitnehmer war den Attesten zufolge also weder das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes noch das Tragen eines Gesichtsvisiers möglich. Die Antragsgegnerin hielt an ihrer Anordnung fest und teilte dem Angestellten mit Schreiben vom 04.12.2020 mit, dass sie ihn ohne eine Mund-Nasen-Schutz oder ein Gesichtsvisier nicht beschäftigen werde.
Der Angestellte beantragte dann eine einstweilige Verfügung mit dem sinngemäßen Antrag, ihn ohne Gesichtsvisier oder Mund-Nasenbedeckung zu beschäftigten. Hilfsweise beantragte er die Beschäftigung im Home Office.

Die Antragsgegnerin berief sich auf die geltenden Hygienebestimmungen. Sie sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer ohne Gesichtsvisier zu beschäftigen.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Es hat darauf verwiesen, dass der Gesundheits- und Infektionsschutz aller Mitarbeiter und Besucher des Rathauses das Interesse des Arbeitnehmers an einer Beschäftigung ohne Gesichtsvisier oder Mund-Nase-Abdeckung überwiege. Es sei der Arbeitgeberin nicht zumutbar, den Arbeitnehmer ohne Gesichtsvisier zu beschäftigen. Das Arbeitsgericht hob hervor, dass es sich bei dem Anspruch des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung um ein hohes, durch die Verfassung und einfache Gesetze geschütztes Interesse handelt. Das müsse aber hinter den überwiegenden und schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers zurückstehen. Der Arbeitgeber müsse sicherstellen, dass sowohl die Bürger, die das Rathaus betreten, als auch die Kollegen an ihren Arbeitsplätzen dem geringstmöglichen Infektionsrisiko ausgesetzt seien. Er sei verpflichtet, die Verpflichtung zur Mund-Nase-Abdeckung mit seinem Direktionsrecht durchzusetzen. Die Anweisung an den Antragsteller, das Rathaus ohne entsprechende Schutzeinrichtungen nicht zu betreten und ihn nicht zu beschäftigen, sei somit zu Recht erfolgt.

Weiter führte das Gericht aus, der Arbeitnehmer habe auch nicht glaubhaft gemacht, dass er aus medizinischen Gründen die Schutzbedeckungen nicht tragen könne. Die von ihm vorgelegten ärztlichen Atteste, insbesondere das vom 11.11.2020 habe einen überaus geringen Beweiswert, weil ohne weitere Ausführungen eine „Befreiung von der Tragepflicht für „Gesichtsvisiere jeglicher Art““ attestiert werde. Diese Situation sei nicht vergleichbar mit ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die dem Arbeitgeber vorgelegt werden. Diesen wird in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung generell ein hoher Beweiswert beigemessen.
Da der Arbeitnehmer einen rechtlichen Vorteil durch die ärztlichen Bescheinigungen anstrebe, nämlich die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Betreten des Rathauses ohne Schutzeinrichtung, sei der Arbeitnehmer verpflichtet, die Arbeitgeberin durch konkrete Angaben in den ärztlichen Bescheinigungen in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen einer Maskenpflicht selbst zu prüfen.
Der Arbeitnehmer hatte im Verfahren selbst vorgetragen, dass er sich in Pausenraum, Druckerraum, Flur oder auf der Toilette jeweils nur wenige Minuten aufhalten würde. Das Gericht bezeichnete es als nicht nachvollziehbar, warum er für diese wenigen Minuten nicht in der Lage sein sollte, die Schutzeinrichtungen zu tragen.
Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Einrichtung eines Home Office Arbeitsplatzes bestehe nicht. Eine Anspruchsgrundlage dafür sei nicht erkennbar.

Bewertung:
Soweit das Gericht festgestellt hat, dass hier die Interessen Dritter, nämlich der Kolleginnen und Kollegen des Arbeitnehmers sowie der Besucherinnen und Besucher des Rathauses und somit auch die Interessen des Arbeitgebers an möglichst gefahrfreiem Personenverkehr im Rathaus das Interesse des Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung überwiegen, stimme ich zu. Der Arbeitgeber darf eine solche Gefährdungslage nicht ignorieren.
Auf den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigungen kam es für die Frage, ob eine Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers bestand, nicht an. Auch, wenn das Gericht unterstellt hätte, dass die ärztlichen Bescheinigungen zutreffend und richtig waren, hätte es zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Antragsgegnerin berechtigt war, den Arbeitnehmer anzuweisen, ohne Schutzeinrichtungen das Rathaus nicht mehr zu betreten.
Im Ergebnis ist dem Urteil zuzustimmen, soweit es die Suspendierung für rechtmässig erklärt hat, weil für den Anspruch auf Weiterbeschäftigung abzuwägen ist zwischen Interessen des Arbeitnehmers und schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 15.03.2001, Aktenzeichen 2 AZR 141/00, juris Rn. 64) bzw. von ihm zu schützender Dritter.

Zu der Frage, ob der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Einsatz im Home Office habe, hat das Gericht sich sehr kurz auf das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 07.05.2020, Aktenzeichen 3 Ga 920 berufen. Dies Urteil habe ich ebenfalls kurz besprochen: "Kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Home-Office bei Corona". Im Ergebnis stimme ich dem Arbeitsgericht Siegburg auch in diesem Punkt zu, aber mit anderer Begründung als das Gericht.
Anspruchsgrundlage für den Home-Office- Einsatz wären §§ 241 und 618 BGB. Auch zu der Frage des Home-Office-Arbeitsplatzes wäre eine Interessenabwägung notwendig. Für diesen Anspruch wäre abzuwägen zwischen dem Anspruch des Arbeitnehmers auf Beschäftigung und dem Interesse des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nicht im Home Office zu beschäftigen. Hier erscheinen die Ausführungen des Arbeitsgerichts Siegburg zu knapp. Dem Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg, auf das das Arbeitsgericht Siegburg sich bezieht, lag ein anderer Sachverhalt zugrunde.
Das Arbeitsgericht Siegburg hat sich mit der Frage, warum dem Arbeitgeber die Einrichtung eines Home-Office-Arbeitsplatzes nicht zuzumuten sein soll, nicht auseinandergesetzt. Vor dem Hintergrund seiner Auffassung, dass die vorgelegten Arztgutachten nur einen sehr geringen Beweiswert hätten, ist das wohl konsequent. Allerdings überzeugt die Begründung des geringen Beweiswerts nicht. Das Gericht begründet den geringeren Beweiswert damit, dass der Antragsteller durch die von ihm vorgelegten Bescheinigungen einen rechtlichen Vorteil erlangen wolle. Aber auch durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erlangt ein erkrankter Arbeitnehmer einen Vorteil, nämlich einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Vergütung, ohne arbeiten zu müssen. Der geringe Beweiswert der ärztlichen Bescheinigungen ergibt sich aus einem anderen Grund.
Ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen haben einen höheren Beweiswert, weil das Gesetz sie in § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz als das vorgesehene Nachweismittel für eine Arbeitsunfähigkeit bezeichnet. Im Streitfall, also wenn sich begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit ergeben, kann der Arbeitgeber aber auch ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen infrage stellen und erschüttern. So liegt es auch bei den von dem Arbeitnehmer hier vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen, nach denen der Arbeitnehmer weder Gesichtsvisier noch Mund-Nase-Schutz tragen konnte. Ihre Angreifbarkeit ergab sich vorliegend daraus, dass sie nicht belegten, dass eine der genannten Schutzvorkehrungen dem Arbeitnehmer nicht einmal für nur wenige Minuten möglich sein sollten. Damit reichte der Beweiswert der Gutachten für den Grad der Gewissheit, die der Erlass einer Einstweiligen Verfügung erfordert, nicht aus. Der Arbeitnehmer hätte -sofern dieser Sachverhält gegeben war - in die Interessenabwägung einbringen müssen, dass ihm das Tragen der Masken auch für wenige Minuten nicht möglich war. Das lässt sich den Arztgutachten aber nicht klar entnehmen.

Hätte der Fall zwischen dem 27.01.2021 und den 15.03.2021 gespielt, hätte er anders ausgehen können. Denn die am 21.01.2021 verkündete SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung des Bundesarbeitsministeriums verpflichtet Arbeitgeber, den Beschäftigten im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in ihrer Wohnung auszuüben, „wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen“ (§ 2 Abs. 4 SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung). Nach dieser Regelung wäre nach Gründen in der Person des Arbeitnehmers gar nicht mehr zu fragen gewesen.(eingestellt am 15.02.2021)