Tipps und Urteile

Corona, Kurzarbeit und Kündigung: Wird in einer Betriebsabteilung gleichzeitig Kurzarbeit eingeführt und betriebsbedingt gekündigt, so ist die Kündigung unwirksam. Die Anordnung von Kurzarbeit schließt es aus, dass betriebsbedingte Kündigungsgründe für die Beendigungskündigung vorliegen. (Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 05.05.2021, Aktenzeichen 5 Sa 938/20)
Die Arbeitgeberin beschäftigte ständig mehr als 10 Arbeitnehmer. Es handelt sich um ein Unternehmen der Reise- und Tourismusbranche. Es wurden von dem Unternehmen Schiffsservice, Parkservice, Touren und Gepäcklogistik angeboten. Wegen der Corona-Pandemie hatte die Stadt P eine Allgemeinverfügung erlassen, die das Anlegen von Personenschiffen im gesamten Stadtgebiet verbot. Dadurch wurden bei der Arbeitgeberin keine Stadtführungen mehr nachgefragt.
Die Klägerin und ein weiterer Kollege von ihr führten bei der Arbeitgeberin Stadtführungen durch. Für den Kollegen nahm die Arbeitgeberin ab 09.03.2021 die Kurzarbeiterregelung in Anspruch.
Die Klägerin des Verfahrens ist 1954 geboren und hatte das Rentenalter überschritten. Deshalb war für sie die Beantragung von Kurzarbeit nicht möglich.
Mit der Klägerin wurde von der Arbeitgeberin über eine Herabsetzung ihrer Monatsvergütung verhandelt. Zunächst wurde von der Arbeitgeberin eine Herabsetzung auf 1500,00 € brutto angeboten, später auf 1000,00 € brutto. Die Arbeitnehmerin lehnte ab, weil sie bei der letztgenannten Summe mit ca. 800,00 € netto auf einen Betrag unterhalb des Hartz-IV-Satzes gekommen wäre.
Die Arbeitgeberin erklärte daraufhin unter dem 08.04.2020 die Beendigungskündigung. Sie begründete diese mit dem Rückgang der Anforderung von Stadtführungen infolge der Corona-Pandemie. Die Klägerin erhob eine Kündigungsschutzklage. In der 1. Instanz vor dem Arbeitsgericht Passau verlor sie, in der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht München hat sie den Prozess endgültig gewonnen – das Landesarbeitsgericht hat keine Revision zugelassen, weil sein Urteil auf einer gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beruht.

Hintergrund des Urteils:
Hier fand das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung, weil die Arbeitgeberin in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigte. Da die Arbeitgeberin hier betriebsbedingte Gründe in Form von Auftragsrückgang geltend machte, war vom Gericht nach dem KSchG zu prüfen:

  • Betriebsbedingtheit der Kündigung (§ 1 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. KSchG)
  • korrekte Sozialauswahl bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 3 KSchG)

Die Prüfung des Landesarbeitsgerichts München endete hier schon in der 1. Prüfungsstufe zu Ungunsten der Arbeitgeberin. Die korrekte Sozialauswahl hat das Landesarbeitsgericht gar nicht mehr geprüft. Denn wenn die Arbeitgeberin in einer Betriebsabteilung gleichzeitig gegenüber einem oder mehreren Arbeitnehmern Kurzarbeit einführt und andererseits gegenüber einem oder mehreren Arbeitnehmern die betriebsbedingte Beendigungskündigung ausspricht, ist das widersprüchlich. Die Bewilligung von Kurzarbeitergeld durch die Agentur für Arbeit setzt nämlich voraus, dass die Arbeitgeberin die nachvollziehbare Prognose stellt, dass der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für den /die betroffenen Arbeitnehmer nur vorübergehend sein wird.
Die betriebsbedingte Beendigung eines Arbeitsverhältnisses setzt dagegen voraus, dass eine Beschäftigungsmöglichkeit für den/die betroffene Arbeitnehmerin dauerhaft wegfällt.
„In diesem Falle kann nicht zum gleichen Punkt für die gleiche Tätigkeit einmal von einem dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs ausgegangen werden, und im anderen Falle hinsichtlich der beantragten Kurzarbeit lediglich von einem vorübergehenden Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit. (Landesarbeitsgericht München a. a. O., Juris Rn. 48).“

Bewertung: / Tipp:
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts befindet sich im Einklang mit der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Frage. Das Landesarbeitsgericht hat in dem Urteil kurz auf den Weg hingewiesen, den Arbeitgeber in einem solchen Fall gehen müssten. Eine Beendigungskündigung ist nach dem Gesetz immer das letzte mögliche Mittel. Zuvor muss die Arbeitgeberin alle den /die Arbeitgeberin weniger belastenden Maßnahmen probiert haben. Richtig wäre der Weg der Änderungskündigung. Das Landesarbeitsgericht hat darauf hingewiesen, dass mit einer Änderungskündigung auch eine nur vorübergehende Absenkung der Vergütung von Seiten des Arbeitgebers versucht werden kann.
Man muss hier schon genau beachten, was das Urteil bedeutet. Es ist in Unternehmen, die Kurzarbeit eingeführt haben, nicht immer gesetzeswidrig, betriebsbedingt zu kündigen. Denkbar ist beispielsweise, dass ein Unternehmen zwei Betriebe hat und aufgrund von Auftragsrückgangs beschließt, einen der Betriebe einzustellen und in dem anderen Kurzarbeit zu beantragen. Das wäre möglich. Auch wäre es möglich, in verschiedenen Arbeitsbereichen nur zum Teil Kurzarbeit einzuführen. In solchen Fällen könnte auch eine betriebsbedingte Beendigungskündigung möglich sein.
Die möglichen Organisationsformen in Betrieben sind vielfältig und entsprechen häufig nicht der oben dargestellten theoretischen Voraussetzung, dass Abteilungen und Arbeitsbereiche klar voneinander abgegrenzt werden können. Daher ist es immer anzuraten, in Fällen von Beendigungskündigungen bei gleichzeitig bestehender Kurzarbeit Ihre Kündigung von mir prüfen zu lassen.
(eingestellt am 15.08.2021)