Tipps und Urteile

Vor einer Änderungskündigung mit „Versetzung“ auf einen weit entfernten Arbeitsplatz muss die Arbeitgeberin die Beschäftigung im Home Office anbieten (Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 10.08.2020, Aktenzeichen 19 Ca 13189/19)
Die Arbeitgeberin dieses Falls hatte ihren Hauptsitz in Wuppertal. Sie unterhielt in Berlin eine Niederlassung. Diese wollte sie zum 31.12.2019 schließen. Deshalb schloss sie auch mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich ab.
In der Niederlassung war die Arbeitnehmerin als Vertriebsassistentin beschäftigt. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 10.10.2019 zum 31.05.2020. Gleichzeitig mit der Kündigung bot die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin an, das Arbeitsverhältnis am Arbeitsort Wuppertal fortzusetzen.

Dies Angebot nahm die Klägerin nicht an. Sie klagte vor dem Arbeitsgericht Berlin auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung. Sie berief sich darauf, dass die Arbeitgeberin ihre Tätigkeit soweit digitalisiert hatte, dass sie auch von zu Hause aus arbeiten könnte. Auch ihr Ehemann, Leiter Bau Region Nordost, arbeitete aus dem gemeinsamen Haushalt heraus.

Das Arbeitsgericht hatte der Arbeitgeberin im Laufe des Prozesses aufgegeben, darzulegen, warum die Anwesenheit der Arbeitnehmerin am Hauptsitz zur Ausführung ihrer Arbeiten notwendig sei. Dazu hatte die Arbeitgeberin nichts vorgetragen.

Das Arbeitsgericht Berlin führte aus, dass zwar ein Anspruch auf einen Arbeitsplatz im Home Office nicht bestehe. Auch könne das Gericht die unternehmerische Entscheidung, die Filiale in Berlin zu schließen, nicht überprüfen. Aber die Folgen der unternehmerischen Entscheidung seien vom Gericht zu überprüfen. Die Beklagte habe sich auf das mildeste Mittel zu beschränken. Und das sei, die Klägerin im Home Office zu beschäftigen.

Der Arbeitgeberin sei das digitale Arbeiten nicht fremd. So gab es bei ihr schon eine Betriebsvereinbarung, die die digitale Arbeit inhaltlich regelte. Die Arbeitgeberin habe sich immer auf das mildeste Mittel zu beschränken. Und das sei hier, die Klägerin von zu Hause aus arbeiten zu lassen.

Bewertung:
Eine begrüßenswerte Entscheidung.
Sie beruht auf dem „Ultima Ratio“-Prinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das „Ultima Ratio“-Prinzip sind fester Bestandteil der Rechtsprechung zu Kündigungen von Arbeitsverhältnissen. Danach darf der Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis nur kündigen, wenn andere Möglichkeiten zum Schutz seiner Interessen und Umsetzung seiner unternehmerischen Entscheidung ihm nicht zur Verfügung stehen. Er muss bei Abwägung seiner Interessen und dem Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt des Arbeitsplatzes die verhältnismässigste Massnahme treffen. Die Kündigung muss „Ultima Ratio“, also das letztmögliche Mittel sein.

Die Arbeitgeberin hat Berufung beim LAG Berlin-Brandenburg eingelegt, über die noch nicht entschieden ist (Az. 4 Sa 1243/20).
(eingestellt am 15.03.2020)