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Landesarbeitsgericht bestätigt außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen unerlaubten Fernbleibens vom Betriebsrätetag (LAG Niedersachsen, Beschluss vom 28.02.2024, Aktenzeichen 13 TaBV 40/23)
Ein freigestelltes Mitglied eines 17-köpfigen Betriebsrates war durch Beschluss des Betriebsrats entsandt worden für für die Teilnahme am Deutschen Betriebsrätetag vom 08.11.2022 bis zum 10.11.2022. Das Betriebsratsmitglied hatte sich nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts am 09.11.2022 ganztägig von der Veranstaltung entfernt und sich mit seiner geschiedenen Ehefrau getroffen. Erst am Morgen des 10.11.2022 fuhr er mit dem Zug zurück zum Veranstaltungsort des deutschen Betriebsrätetags, ohne die Veranstaltung noch einmal zu besuchen.3 mitgereiste Betriebsratsmitglieder wandten sich am 17.11.2022 an den HR-Manager und schilderten das Geschehen aus ihrer Sicht. Die Arbeitgeberin forderte einen Arbeitszeitnachweis für den Zeitraum der Dienstreise an. Das Betriebsratsmitglied, um das es hier ging, gab in dem Arbeitszeitnachweis an, er habe am 09.11.2022 von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr sowie von 19:00 Uhr bis 22:00 Uhr und am 10.11.2022 nach der Rückkehr von der Dienstreise von 19:00 Uhr bis 23:00 Uhr Betriebsratsarbeit geleistet.
Später gab er an, er habe in diesen Zeiten mit Unterstützung seiner Ex-Ehegattin, die ebenfalls Betriebsratsmitglied gewesen sei, Internetrecherchen angestellt zur Planung eines Newsletters bzw. einer Kontakt-Infoseite zu dem Thema „wie, wann und wo erreiche ich: Betriebsrat, Betriebsarzt, BEM-Abteilung, HR-Abteilung“. Er habe sich von der Veranstaltung spontan entfernt, weil er für sich subjektiv eingeschätzt habe, die am 09.11.2022 angebotenen Veranstaltungen würden ihm  - auch wegen der überfüllten Räumlichkeiten - keinen Mehrwert bringen.
Es ließ sich nachweisen, dass die Angaben des Betriebsratsmitglieds zu seinen Arbeitszeiten am 09.11.2022 und am 10.11.2022 falsch gewesen waren und das Betriebsratsmitglied bewusst einen falschen Arbeitszeitnachweis erstellt hatte.

Die Arbeitgeberin beantragte die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds gemäß § 103 BetrVG. Der Betriebsrat verweigerte jedoch die Zustimmung. Deshalb beantragte die Arbeitgeberin die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats. Das Arbeitsgericht Lüneburg entschied zugunsten der Arbeitgeberin.

Das Landesarbeitsgericht führte aus, dass der Betriebsrat mit seinem Entsendungsbeschluss zu der Schulungsveranstaltung im Sinne von § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG, für die die Arbeitgeberin die Reisekosten, die Seminarkosten, Kosten der Unterkunft und Verpflegung übernommen hatte, die dem Betriebsratsmitglied obliegende Betriebsratstätigkeit für den fraglichen Zeitraum konkretisiert habe. Der Besuch dieser Veranstaltung in Präsenz habe daher für ihn Vorrang vor anderen Betriebsratsaufgaben gehabt. Nur in einem Ausnahmefall hätte er anstatt des Veranstaltungsbesuches noch andere Betriebsratstätigkeiten ausüben dürfen.

Für ein freigestelltes Betriebsratsmitglied trete, so das Landesarbeitsgericht, an die Stelle der Arbeitspflicht die Verpflichtung, sich während seiner arbeitsvertraglichen Arbeitszeit am Betriebsratssitz für Betriebsratstätigkeiten verfügbar zu halten. Durch seinen Entsendungsbeschluss für die Teilnahme an einem Betriebsratsseminar konkretisiere der Betriebsrat die dem Betriebsratsmitglied obliegende Betriebsratstätigkeit für den Zeitraum des Seminars.


Das Landesarbeitsgericht wies darauf hin, dass grundsätzlich einem Betriebsratsmitglied ein Beurteilungsspielraum zusteht zur Frage, ob es Arbeitszeit zur ordnungsgemäßen Ausführung seiner Betriebsratsarbeit versäumen darf. Das darf er aber nicht allein nach subjektivem Ermessen beurteilen, sondern das Betriebsratsmitglied muss abwägen zwischen den betrieblichen Interessen einerseits und denen der Belegschaft andererseits. Die Grenze sei überschritten, „wo aus Sicht eines sorgfältig prüfenden objektiven Dritten erkennbar ist, dass es sich nicht (mehr) um die Wahrnehmung von Amtsobliegenheiten handelt.“
Zum privaten Treffen mit der Ex-Ehefrau mit Internet-Recherchen zu den vom Betriebsratsmitglied genannten Themen führte das Landesarbeitsgericht aus, dass schon zweifelhaft sei, ob diese Recherchen überhaupt aufgrund der konkreten betrieblichen Verhältnisse mit gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats in Zusammenhang stünden. Jedenfalls sei nicht erkennbar gewesen, dass die Aufgaben so dringlich gewesen wären, dass sie ein Verlassen des Betriebsrätetages am 09.11.2022 erforderlich gemacht hätten.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Lüneburg wurde durch das Landesarbeitsgericht Niedersachsen bestätigt.

Bewertung / Tipp:
Betriebsratsmitglieder sind nur in außergewöhnlichen Fällen ordentlich kündbar (§ 15 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz). Eine außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist nur möglich, wenn der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung zur Kündigung erteilt hat (§ 103 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)).
Da der Betriebsrat im vorliegenden Fall die Zustimmung zur Kündigung verweigert hatte, hat die Arbeitgeberin die Ersetzung der Zustimmung durch das Arbeitsgericht gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG beantragt.
Das Landesarbeitsgericht bewegt sich mit diesem Beschluss in dem Rahmen, den die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für die Kündigung von Betriebsratsmitgliedern und die Amtspflichten von Betriebsratsmitgliedern gesetzt hat.

Auch während eines von mir gehaltener Seminars ist es schon einmal vorgekommen, dass ein Betriebsratsmitglied sich aus einem wichtigen Grund entfernen musste, um andere Betriebsratstätigkeiten auszuüben. Das kann immer einmal passieren.
Wenn Sie als Betriebsratsmitglied während Ihrer Seminarteilnahme die Teilnahme zugunsten anderer Betriebsratstätigkeiten unterbrechen wollen, muss dafür aber immer ein gewichtiger Grund vorliegen. Sie sollten in einem solchen Fall genau abwägen und Gründe für eine Unterbrechung sorgfältig dokumentieren.

Sollten Sie später wegen einer solchen Unterbrechung zur Stellungnahme aufgefordert werden, überlegen Sie sorgfältig und antworten Sie nicht spontan. Im vorliegenden Fall hatte das Betriebsratsmitglied eindeutig falsche Angaben gemacht. Damit hat es seine Lage in dem vorliegenden Verfahren noch entscheidend verschlechtert.
(eingestellt am 21.09.2024)