Tipps und Urteile

Kuriose Fallgestaltung vor dem Bundesarbeitsgericht: Wird in einem Haustarifvertrag eine Tariferhöhung vereinbart für den Fall, dass die sanitären Einrichtungen nicht bis zu einem feststehenden Termin grundsaniert sind, so ist das kein Vertragsstrafeversprechen. Die Arbeitgeberin kann nicht gemäß § 343 Abs. 1 BGB die Herabsetzung der Tariferhöhung wegen Unverhältnismäßigkeit verlangen. (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.02.2023, Aktenzeichen 4 AZR 68/22, Pressemitteilung Nummer 12/23)
Die Arbeitgeberin des vorliegenden Falls hatte mit der IG Metall im Jahr 2018 einen Tarifvertrag abgeschlossen (sogenannter Haustarifvertrag), der Entgelterhöhungen in 2 Schritten vorsah. Eine dritte Entgelterhöhung in Höhe von 0,5 % war vorgesehen für den Fall, dass nicht bis zum 30.06.2019 eine Grundsanierung der Sanitärräume der Arbeitgeberin durchgeführt worden sein sollte.
Tatsächlich gelang der Arbeitgeberin eine vollständige Sanierung bis zum genannten Termin nicht. Der Arbeitnehmer machte daher gerichtlich die 0,5 prozentige Erhöhung der Vergütung geltend.
Er war vor dem Arbeitsgericht Stuttgart erfolglos. Auf seine Berufung hin billigte das Landesarbeitsgericht Stuttgart ihm eine Entgelterhöhung von 0,1 % zu. Es war davon ausgegangen, dass ein Missverhältnis zwischen Zuwiderhandlung (Nichtsanierung der Sanitäreinrichtungen) und Vertragsstrafe bestanden habe. Daher die Kürzung.

Der Arbeitnehmer war mit seiner Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts erfolgreich.
Eine schriftliche Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts liegt noch nicht vor. In seiner Pressemitteilung zu dem Fall führt das Bundesarbeitsgericht aus, dass es sich bei der tarifvertraglichen Regelung nicht um eine Vertragsstrafe gehandelt habe. Sie diene nicht dem Zweck einer Vertragsstrafe. Vielmehr würden damit die Hauptleistungspflichten (Vergütung gegen Arbeitsleistung) der an den Tarifvertrag gebundenen Arbeitsverhältnisse geregelt.

Bewertung:
Ebenso, wie der Sachverhalt schon sehr kurios ist, ist es auch die Begründung, mit dem die vorinstanzlichen Gerichte die geltend gemachten Ansprüche teils vollständig, teils teilweise zurückgewiesen haben.
Selbst wenn man – anders als das Bundesarbeitsgericht – dem Argument folgen würde, es handele sich um eine Vertragsstrafe, wäre das vom Bundesarbeitsgericht gefundene Ergebnis richtig: Gemäß § 348 Handelsgesetzbuch (HGB) kann eine Vertragsstrafe, „die von einem Kaufmann im Betriebe seines Handelsgewerbes versprochen ist, … nicht aufgrund der Vorschriften des § 343 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) herabgesetzt werden.“ Es gibt ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.07.2008 (Aktenzeichen I ZR 168/05), auf das das Landesarbeitsgericht Stuttgart sich berufen hatte. Darin hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass bei einem „außerordentlichen Missverhältnis“ zwischen Zuwiderhandlung und Vertragsstrafe trotz § 348 HGB die Vertragsstrafe herabgesetzt werden könne. Dies Urteil hatte das Landesarbeitsgericht Stuttgart zur Begründung seiner Entscheidung, die Tariferhöhung auf 0,1 % herabzusetzen, angeführt.
Ob eine Tariferhöhung von 0,5 % in diesem Zusammenhang zu einem „außerordentlichen Missverhältnis“ führt, erscheint vorliegend höchst fraglich.

Eine richtige und begrüßenswerte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts.
(eingestellt am 23.02.2023)