Tipps und Urteile

Zu einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG zur Einholung der Zustimmung zur Einstellung eines neuen Mitarbeiters gehört auch, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat den für die Entscheidung des Arbeitgebers maßgeblichen Inhalt von geführten Vorstellungsgesprächen mitteilt. Das gilt, wenn die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers maßgeblich auf diesen Vorstellungsgesprächen beruht. (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28.06.2005, Aktenzeichen 1 ABR 26/04)
Der Arbeitgeber, ein gemeinnütziger Verein, hatte die Stelle eines Referatsleiters / einer Referatsleiterin in der Generalsverwaltung ausgeschrieben. Es gab 32 Bewerbungen, darunter 8 Frauen. Eingestellt wurde der Jurist Herr P, der damals 35 Jahre alt war und über 6 Jahre Berufserfahrung verfügte. Der Arbeitgeber führte Vorstellungsgespräche mit 9 Bewerbern, darunter 2 Frauen. 3 der Bewerber wurden zu einem erneuten Vorstellungsgespräch eingeladen, neben Herrn P auch noch Frau Dr. H-R, die ebenfalls Juristin und seinerzeit 52 Jahre alt war und 18 Jahre Berufserfahrung hatte sowie Herrn L, ein weiterer Jurist, der damals 40 Jahre alt war und 10 Jahre Berufserfahrung hatte. Ein drittes Vorstellungsgespräch führte die Arbeitgeberin nur noch mit Herrn P.

Es gab in dem Verein eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Danach sollten Frauen unter „Beachtung des Vorrangs von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (…) gefördert“ werden.

Die Frauenbeauftragte beanstandete die geplante Einstellung. Trotzdem beantragte der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung von Herrn P. In dem Schreiben an den Betriebsrat wurden in den blumigsten Worten Kreativität, geistige Beweglichkeit, klare Gedankenfähigkeit, Argumentationsfähigkeit, Gesprächsinitiative, Durchsetzungsvermögen und gleichzeitige Konsensfähigkeit etc. gelobt.

Der Betriebsrat erteilte keine Zustimmung. Er begründete seinen Widerspruch damit, dass Frau Dr. H-R am besten qualifiziert sei und wegen ihres höheren Lebensalters nicht berücksichtigt und dadurch benachteiligt sei.

Vom Arbeitgeber wurde ein Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet, das am Ende beim Bundesarbeitsgericht ankam. Das Bundesarbeitsgericht wies den Antrag des Arbeitgebers auf Ersetzung der Zustimmung ab.

Es begründete diese Entscheidung nicht mit den vom Betriebsrat vorgetragenen Gründen, sondern damit, dass der Arbeitgeber sich auf den Inhalt der Vorstellungsgespräche berufen hatte, ohne den Betriebsrat über den maßgeblichen Inhalt zu informieren. Eine pauschalierende Gesamtbewertung – wie der Arbeitgeber sie hier mitgeteilt hatte – genüge nicht. Der Arbeitgeber müsse die seiner Bewertung zugrunde liegenden Tatsachen mitteilen. Er hätte gegebenenfalls darstellen müssen, warum der ausgewählte Bewerber besser sei als die anderen. Das hatte der Arbeitgeber nicht gemacht. Dadurch sei der Betriebsrat nicht in die Lage versetzt worden, angemessen Stellung zu nehmen.

Die Wochenfrist für die Anhörung des Betriebsrats sei daher gar nicht in Gang gesetzt worden.

Bewertung / Tipp:
Eine Entscheidung, die das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats stärkt. Hier wurde der von der Arbeitgeberin offenbar beabsichtigten Bestrebung, wesentliche Informationsteile in einem nicht nachvollziehbaren Bereich zu halten, entgegengetreten.

Das Bundesarbeitsgericht ist hier davon ausgegangen, dass grundsätzlich der Betriebsrat den Arbeitgeber darauf hinweisen müsse, wenn er die erteilten Auskünfte des Arbeitgebers für unvollständig halte. Das gelte aber nur, wenn der Arbeitgeber selbst davon hätte ausgehen dürfen, dass seine Unterrichtung vollständig war. Auch ohne die Nachforderung von Auskünften war also die Wochenfrist aus § 99 Abs. 3 BetrVG nicht in Lauf gesetzt worden.

Da der Betriebsrat nie genau wissen kann, ob ein Gericht vielleicht wie er selbst die Auskünfte des Arbeitgebers für lückenhaft hält, empfehle ich den Betriebsrätinnen und Betriebsräten, in den Fällen, in denen sie sich nicht ausreichend informiert fühlen, Informationen nachzufordern.
Denn eine wirksam gestartete Frist würde gemäß § 99 Abs. 3 BetrVG nach deren Ablauf dazu führen, dass die Zustimmung als erteilt gelten würde.
(eingestellt am 08.06.2023)