Tipps und Urteile

Es besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nummer 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) bei der Ausgestaltung eines Systems zur Erfassung von Beginn und Ende der Arbeitszeit. Der Arbeitgeber kann ohne Beachtung der Mitbestimmung nicht einseitig ein System festlegen (Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 22.05.2023, Aktenzeichen 4 TaBV 24/23).

Ich habe schon an anderer Stelle von der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu diesem Thema vom 13.09.2022 berichtet https://www.anwalt-fuer-arbeitsrecht-bremen.de/tipps-und-urteile/tipps-und-urteile-zum-arbeitsrecht-2022/arbeitgeber-ist-verpflichtet-ein-system-einzufuehren-mit-dem-die-von-den-arbeitnehmern-geleistete-arbeitszeit-erfasst-werden-kann. Seinerzeit hatte das Bundesarbeitsgericht im Ergebnis festgestellt, dass sich aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) die Pflicht der Arbeitgeber ergibt, die von den Arbeitnehmern geleisteten Arbeitszeiten zu erfassen. Zweck dieser Vorschrift ist der Gesundheitsschutz.

Im vorliegenden Fall ging es um die Einsetzung einer Einigungsstelle. In dem betroffenen Betrieb existierte eine Betriebsvereinbarung für Innendienstmitarbeiter zu Arbeitszeiterfassung. Der Betriebsrat wollte eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung auch für die Außendienstmitarbeiter verhandeln. Die Arbeitgeberin lehnte dies ab mit der Begründung, der Betriebsrat sei nicht zuständig. Der Betriebsrat beantragte daraufhin die Einsetzung einer Einigungsstelle und war damit sowohl vor dem Arbeitsgericht München als auch dem Landesarbeitsgericht München erfolgreich. Es bestehe ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht über das ob, aber über das wie der Arbeitszeiterfassung, das nach der gesetzlichen Regelung offen sei. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die öffentlich-rechtliche Rahmenvorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG nicht abschließend, sondern lässt Handlungsspielräume. Das Mitbestimmungsrecht setze ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv bestehe und wegen Fehlens einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen verlange, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Gerade weil zwingende gesetzliche Vorgaben fehlen würden, müsse eine Regelung auf betrieblicher Ebene erfolgen, um den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu gewährleisten.
So könne etwa geregelt werden, ob die Zeiterfassung analog oder manuell stattfinden solle oder getrennt nach Beschäftigungsgruppen.

Bewertung/Tipp:
Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts München knüpft konsequent an die Kernaussagen des Bundesarbeitsgerichts an. Eine begrüßenswerte Entscheidung. Betriebsräte sollten aktiv von ihrem Mitbestimmungsrecht Gebrauch machen.
Veranlasst durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 18.04.2023 einen Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorgelegt. Zentrales Regelungselement dieses Entwurfs ist § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG-E, der eine taggenaue elektronische Aufzeichnung der Arbeitszeiten vorsieht. Dazu existiert ein Antrag der Linke-Bundestagsfraktion, die eine tägliche minutengenaue Zeiterfassung fordert, weil in Deutschland Millionen Überstunden unbezahlt geleistet werden. Es solle die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wiederhergestellt werden. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion geht in die Gegenrichtung. Er fordert, dass Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeitszeiterfassung vollständig ausgereizt werden und Arbeitgebern Freiheiten bei der Wahl des Zeiterfassungssystems gewährt werden. Eine taggenaue Arbeitszeiterfassung wird abgelehnt und Vertrauensarbeitszeitmodelle sollen weiterhin ermöglicht werden.
Wann gesetzliche Regelungen in Kraft treten, ist derzeit nicht absehbar. Dass gesetzliche Regelungen beabsichtigt sind, ändert aber nichts an dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
(eingestellt am 15.11.2023)