Tipps und Urteile

Das Kündigungsverbot gegenüber schwangeren Frauen beginnt 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.11.2022, Aktenzeichen 2 AZR 11/22).
Falls die gesetzliche Frist von 2 Wochen nach Zugang der Kündigung für die Mitteilung an den Arbeitgeber von der schwangeren Frau unverschuldet überschritten wird, reicht es, wenn die Arbeitnehmerin die Mitteilung unverzüglich nachholt. Für das Verschulden von Boten, die sie für die Mitteilung der Schwangerschaft beauftragt oder das Verschulden eines ermächtigten Vertreters haftet die schwangere Frau nicht.


Gemäß § 17 Abs. 1 Mutterschutzgesetz ist die Kündigung einer schwangeren Frau gegenüber unzulässig, wenn die Schwangerschaft dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an die Arbeitnehmerin bekannt ist. Die Arbeitnehmerin kann dem Arbeitgeber die Schwangerschaft auch noch innerhalb von 2 Wochen nach Zugang der Kündigung mitteilen. Dann wird die Kündigung ebenfalls unzulässig.

Im vorliegenden Fall hatte die Vorinstanz (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg) entschieden, dass der Kündigungsschutz nach der durchschnittlichen Schwangerschaftsdauer zu berechnen sei, das sind 266 Tage vor der Entbindung (Entbindungstag nicht mitgerechnet). Das hätte aufgrund der zeitlichen Gegebenheiten dazu geführt, dass die Arbeitnehmerin den Schutz des Mutterschutzgesetzes nicht gehabt hätte.

Das Bundesarbeitsgericht blieb jedoch bei seiner schon vor der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts gefestigten Rechtsprechung, wonach der Kündigungsschutz bereits 280 Tage vor dem geschätzten Entbindungstermin beginnt. Das ist die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen kann.

Durch diese äußerst weite Grenzziehung des Bundesarbeitsgerichts sei es, so das Bundesarbeitsgericht, möglich, dass auch Tage in den Schutz nach dem Mutterschutzgesetz einbezogen werden, an denen eine Schwangerschaft unwahrscheinlich sei.

Doch es gehe, so das Bundesarbeitsgericht, nicht darum, den Beginn der Schwangerschaft im konkreten Fall zu ermitteln, sondern darum, eine Berechnungsmethode für den Beginn des Schutzes zu bestimmen, die „an dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutzauftrag orientiert ist“.

Die Zugrundelegung von 266 Tagen durch das Landesarbeitsgericht würde hingegen dazu führen, dass es dazu kommen könne, dass Arbeitnehmerinnen, die bereits vor dem 266. Tag schwanger waren, keinen Schutz durch das Mutterschutzgesetz bekämen.

Das Bundesarbeitsgericht hat aus Art. 6 Abs. 4 Grundgesetz den „bindenden Auftrag an den Gesetzgeber“ hergeleitet, einen besonderen Schutz der werdenden Mutter zu gewährleisten. Daher entschied es die 280-Tage-Frist.

Die Arbeitnehmerin hatte vorgetragen, dass sie erst 20 Tage nach Zugang der Kündigung von ihrer Schwangerschaft sichere Kenntnis gehabt habe. Sie war damit schon außerhalb der 2-Wochen-Frist. Die Schwangerschaft teilte sie 6 Tage nach Kenntnis ihrem Anwalt mit. Diesen Zeitraum sah das Bundesarbeitsgericht noch als unverzüglich an.
Der Anwalt zeigte dem Arbeitgeber die Schwangerschaft nicht unmittelbar, sondern durch einen Schriftsatz an das Arbeitsgericht an. Auch in der dadurch eingetretenen Verzögerung bei der Benachrichtigung des Arbeitgebers sah das Gericht kein der Schwangeren zurechenbares Verschulden.

Das Bundesarbeitsgericht entschied den Fall nicht selbst, sondern verwies ihn zurück an das Landesarbeitsgericht. Denn das Landesarbeitsgericht hatte noch keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Fristüberschreitung von Seiten der Arbeitnehmerin unverschuldet gewesen ist. Diese Feststellung muss das Landesarbeitsgericht treffen. Dazu erteilte das Bundesarbeitsgericht dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg schon den Hinweis, dass ein schuldhaftes Fristversäumnis vorliege, wenn die Schwangere weiß, dass sie schwanger ist oder „zwingende Anhaltspunkte gegeben sind, die das Vorliegen einer Schwangerschaft praktisch unabweisbar erscheinen lassen.“ Eine vage Vermutung der Arbeitnehmerin, dass sie schwanger ist, reiche nicht aus, um ein Verschulden der Arbeitnehmerin zu begründen.

Bewertung / Tipp:
Das Bundesarbeitsgericht sieht es als grundgesetzlichen Auftrag an den Gesetzgeber an, einen möglichst weitgehenden Schutz schwangerer Frauen vor Kündigungen herzustellen. Das ist sehr zu begrüßen.

Zusammengefasst: wenn Sie eine Kündigung erhalten und schwanger sind, können Sie dies dem Arbeitgeber innerhalb von 2 Wochen nach Zugang der Kündigung mitteilen. Das macht die Kündigung unwirksam. Versäumen Sie die Zweiwochenfrist, weil sie erst später Kenntnis von ihrer Schwangerschaft bekommen haben, müssen Sie dem Arbeitgeber unverzüglich dies mitteilen. Auch dann wird die Kündigung unwirksam. Und ein Tipp für Anwälte: die Schwangerschaft nicht ausschließlich über einen gerichtlichen Schriftsatz, sondern direkt an den Arbeitgeber mitteilen.
Nach dem Gesetz ist keine Form für die Mitteilung an den Arbeitgeber vorgeschrieben. Denken Sie aber daran, immer die Beweisbarkeit mitzudenken!

Der Vollständigkeit halber möchte ich noch erwähnen, dass ein Kündigungsschutz auch besteht, wenn es nach der 12. Schwangerschaftswoche zu einer Fehlgeburt kommt. Dann besteht der Kündigungsschutz noch 4 Monate lang. Diese Regelung wurde am 30.05.2017 in das Mutterschutzgesetz eingefügt.
(eingestellt am 01.03.2023)