Tipps und Urteile

Kündigung wegen Krankheit (sogenannte „Anlasskündigung“):
Wird ein Arbeitsverhältnis aus Anlass einer Arbeitsunfähigkeit gekündigt, so muss der Arbeitgeber die 6-wöchige Entgeltfortzahlung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus leisten. Bei einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Beginn der Erkrankung und Kündigung des Arbeitsverhältnisses spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Kündigung aus Anlass der Erkrankung erfolgt ist. Die Arbeitgeberin muss diesen Anscheinsbeweis entkräftigen. Gelingt ihr das nicht, muss sie zahlen. (Arbeitsgericht Hildesheim, Urteil vom 24.11.2022, Aktenzeichen 3 Ca 226/22)

Für das diesem Rechtsstreit zugrunde liegende Arbeitsverhältnis war eine Probezeit vereinbart worden. Der Arbeitnehmer erkrankte während der Probezeit. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis daraufhin. In die Kündigungsfrist fielen noch ca. 3 Erkrankungswochen. Diese wurden von der Arbeitgeberin auch bezahlt. Der 6-wöchige Entgeltfortzahlungszeitraum (§ 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz) endete erst ca. 3 Wochen nach Ende der Kündigungsfrist. Der Arbeitnehmer machte mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht Hildesheim die Vergütung für die ca. 3 Wochen nach Ende der Kündigungsfrist geltend.

Das Arbeitsgericht Hildesheim sprach ihm durch sein Urteil die von ihm eingeklagte Summe zu. Anspruchsgrundlage war § 8 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG. Dort heißt es „Der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts wird nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt.“

Die Arbeitgeberin hatte geltend gemacht, der Kläger habe schlechte Arbeit geleistet. Er habe unkonzentriert und deutlich langsamer als seine Kollegen am neuen Arbeitsplatz gearbeitet. Darüber hinaus habe er durch fehlerhafte Bedienung eine Fräsmaschine beschädigt, ein Schaden in Höhe von ca. 2380,00 € sei entstanden. Der Kläger habe selbst in einem persönlichen Gespräch (das 17 Tage vor Ausspruch der Kündigung stattgefunden hat) geäußert, dass er für die Arbeit nicht geeignet sei und selbst das Arbeitsverhältnis kündigen wolle. Trotzdem habe die Arbeitgeberin ihn noch 2 Tage lang an einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt, den der Kläger aber auch nicht hätte haben wollen und für den er auch nicht geeignet gewesen sei.

Das Arbeitsgericht Hildesheim ging davon aus, dass bei einem nahen zeitlichen Zusammenhang zwischen Ausspruch der Kündigung und Erkrankung ein Anscheinsbeweis dafür spreche, dass die Krankheit ein Anlass für die Kündigung sei. Die Arbeitgeberin könne einen solchen Anscheinsbeweis entkräften. Im vorliegenden Fall sei ihr das aber nicht gelungen. Denn:

Der Vortrag der Arbeitgeberin lief darauf hinaus, dass sie nach den angeblichen schlechten Leistungen des Arbeitnehmers und seiner Äußerung, er sei für die Arbeit nicht geeignet, spätestens aber nach dem 2-tägigen erfolglosen Beschäftigungsversuch an einem anderen Arbeitsplatz, keinen Grund gehabt hätte, mit der Kündigung noch zu warten. Das Gericht ging daher davon aus, dass die Arbeitsunfähigkeit die wesentliche Ursache der Kündigung war.

Bewertung / Tipp:
Nach dem eigenen Vortrag der Arbeitgeberin hatte diese keinen Grund gehabt, das Arbeitsverhältnis fortbestehen zu lassen, sprach aber mehr als 14 Tage lang die Kündigung nicht aus. Daher erscheint ihre Behauptung, Grund der Kündigung seien allein die schlechten Leistungen des Arbeitnehmers gewesen, nicht glaubhaft.

Tipp bei Erkrankung innerhalb der ersten 4 Wochen des Arbeitsverhältnisses:
Während der ersten 4 Wochen des Arbeitsverhältnisses besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen Krankheit (§ 3 Abs. 3 EntgeltfortzahlungsG). Erkrankt der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum und kündigt der Arbeitgeber wegen der Erkrankung, muss nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Arbeitgeber die 6-wöchige Entgeltfortzahlung für die Zeit nach Ablauf des 4-Wochen-Zeitraums zahlen. Nach Ablauf des 4-Wochen-Zeitraums beginnt also die 6-wöchige Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers, und zwar auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis bereits innerhalb des 4-Wochen-Zeitraums geendet haben sollte (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.05.1999, Aktenzeichen 5 AZR 476/98).
(eingestellt am 22.01.2023)