Tipps und Urteile

Zur Klausel „alle anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages gelten unverändert fort“ in einer Ergänzung zum ursprünglichen Arbeitsvertrag. Die Klausel kann zu Überraschungen führen. (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.05.2015, 4 AZR 244/14)
Im ursprünglichen Arbeitsvertrag der Parteien, der im Jahr 1999 abgeschlossen worden war, war eine Bezugnahme auf einen Tarifvertrag vereinbart, durch die die Arbeitnehmerin bei Tariferhöhungen eine höhere Vergütung beanspruchen konnte. Damals war die Arbeitgeberin tarifgebunden. Es kam zu Betriebsübergängen auf andere Arbeitgeber, die aktuelle Arbeitgeberin trat aus dem Arbeitgeberverband aus. Die Arbeitgeberin und die Arbeitnehmerin schlossen im Juli 2011 einen „Nachtrag zum Arbeitsvertrag“ ab. Der Nachtrag enthielt nur wenige Zeilen und unter anderem folgende Klausel:
„Diese Vereinbarung tritt ab 18.07.2011 in Kraft … Alle anderen Bestimmungen des Arbeitsvertrages gelten unverändert fort.“

Aus dieser Klausel folgte ein Anspruch der Arbeitnehmerin auf Vergütung nach dem Tarifvertrag. Vorher hatte der Anspruch wegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu sogenannten „Gleichstellungsabreden“ nicht mehr bestanden. Das Bundesarbeitsgericht ging bis zum 31.12.2001 davon aus, dass ein Anspruch von Arbeitnehmern, die nicht Gewerkschaftsmitglied waren, auf Vergütung nach dem Tarifvertrag entfallen würde, wenn die Arbeitgeberin nicht mehr tarifgebunden war. Das Bundesarbeitsgericht hat nach dem 01.01.2002 (dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes) seine Rechtsauffassung geändert. Auf Verträge, die bis zum 31.12.2001 abgeschlossen waren, wandte es noch seine alte Rechtsprechung an. Für danach abgeschlossene Verträge geht es aufgrund der Unklarheitenregel (§ 315c Abs. 2 BGB), des Transparenzgebots (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) und des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion (§ 306 BGB) bei Klauseln wie der oben wiedergegebenen davon aus, dass der gesamte Arbeitsvertrag zum Gegenstand der erneuten Willensbildung der Parteien geworden ist. Mit anderen Worten: der gesamte Vertrag wird als „ab dem 01.01.2002 abgeschlossener Vertrag“ behandelt und damit auch entsprechend der dann gültigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geprüft.
Und so war es hier: mit Abschluss des „Nachtrags“ war ein neuer Vertrag geschlossen, der nunmehr an der aktuellen Rechtsprechung zu messen war. Aufgrund seiner neuen Rechtsprechung ging das Bundesarbeitsgericht davon aus, dass ein Anspruch auf Vergütung nach dem aktuellen Tarifvertrag bestand.

Tipp:
Aus solchen Klauseln können sich aus Sicht des Arbeitgebers meist unangenehme und aus Sicht des Arbeitnehmers angenehme Überraschungen ergeben, weil dadurch Ansprüche oder Rechtslagen ausgelöst werden können, mit denen man vorher nicht gerechnet hat.
Ein anderes Beispiel, bei dem die oben genannte Klausel zu unerwarteten Änderungen des Arbeitsvertragsinhalts führen kann, sind Klauseln zu Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Forderungen. Wurde der Arbeitsvertrag vor dem 01.10.2016 abgeschlossen, darf er bestimmen, dass Forderungen „in Schriftform“ geltend gemacht werden müssen, es muss also ein Papier-Brief gefertigt und mit Original-Unterschrift versehen werden. Ab dem 01.10.2016 sind nur noch Klauseln zulässig, die die Geltendmachung in „Textform“ bestimmen. Dann reicht also zum Beispiel eine E-Mail (§ 309 Nr 13 b) BGB). Würde ein Altvertrag aus der Zeit vor dem 01.10.2016 später durch einen Nachtrag ergänzt worden sein, der die obige Klausel enthält, wäre die Ausschlussklausel komplett unwirksam. Dann würde die gesetzliche Verjährungsfrist von 3 Jahren gelten.

Eine anwaltliche Prüfung der Klauseln in Ihrem Arbeitsvertrag lohnt sich immer. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Klauseln im Arbeitsvertrag ist reichhaltig, wird aber auch immer unübersichtlicher.
(eingestellt am 01.07.2023)