Tipps und Urteile

Betriebsräte haben ein Initiativrecht zur Frage der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung (Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts München vom 20.06.2023 zu einem Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 22.05.2023, Aktenzeichen 4 TaBV 24/23)
Ein Betriebsrat wollte mit der Arbeitgeberin Verhandlungen über die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung für die Arbeitnehmer aufnehmen, die im Betrieb im Außendienst arbeiten. Die Arbeitgeberin verwies darauf, dass sie bereits eine Entscheidung für ein bestimmtes System der elektronischen Arbeitszeiterfassung getroffen habe. Für dessen Regelung sei der Konzernbetriebsrat zuständig. Die Arbeitgeberin wolle aber mit dem Betriebsrat auch deshalb nicht verhandeln, weil eine Gesetzesänderung zur Arbeitszeiterfassung ansteht und das Gesetz möglicherweise eine Tariföffnungsklausel enthalten werde. Außerdem hoffe die Arbeitgeberin, dass die Außendienstler nicht unter die Aufzeichnungspflicht fallen würden.

Daraufhin beantragte der Betriebsrat die Einsetzung einer Einigungsstelle. Diesem Antrag gab das Arbeitsgericht München statt. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wies das Landesarbeitsgericht diese zurück und bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts München.
Das Arbeitsgericht München hatte argumentiert, dass es dem Betriebsrat nicht um die Frage ging, ob eine Zeiterfassung eingeführt werden soll, sondern allein um die Art und Weise, das „wie“ der Zeiterfassung.
Zu der Frage des „ob“ der Zeiterfassung bestehe eine gesetzliche Verpflichtung der Arbeitgeberin. Diese Frage sei aufgrund der bereits vorhandenen gesetzlichen Regelung entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht mitbestimmungspflichtig.
Somit sei die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig.

Das Landesarbeitsgericht wies darauf hin, dass die Arbeitgeberin den Betriebsrat nicht darauf verweisen könne, sie habe sich noch nicht entschieden, ob sie sich rechtmäßig verhalten und ihrer gesetzlichen Pflicht zum Handeln nachkommen wolle.
Auch könne sie nicht vorab eine Entscheidung über die Art der Zeiterfassung treffen. Denn gerade die Entscheidung darüber, welches die beste Art der Zeiterfassung sei, sei Gegenstand der Mitbestimmung des Betriebsrats.

Bewertung / Tipp:
Die Entscheidung schließt nahtlos an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluss vom 13.09.2022 (Aktenzeichen 1 ABR 22/21) an. Das Bundesarbeitsgericht hatte entschieden, dass eine gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers zur Erfassung der Arbeitszeit aus § 3 Arbeitsschutzgesetz schon jetzt besteht. Somit kommt es nicht darauf an, welche Gesetzesänderungen in Zukunft geplant sind und möglicherweise eintreten.
Der Betriebsrat hat bezüglich der Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 BetrVG ein Initiativrecht. Und bei Verweigerung von Verhandlungen kann er auch die Einsetzung einer Einigungsstelle verlangen. Daher spricht man von einem „echten“ Mitbestimmungsrecht. 
Das Landesarbeitsgericht teilte am 20.06.2023 mit, dass der Beschluss noch nicht rechtskräftig sei.
Es bleibt abzuwarten, ob die Arbeitgeberseite Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht einlegt und das Bundesarbeitsgericht noch Gelegenheit erhält, zum Initiativrecht des Betriebsrats Stellung zu nehmen.

Betriebsräte sollten nicht zögern, ihr Mitbestimmungsrecht zur Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung aktiv geltend zu machen.

Informieren Sie sich hier über die vorangegangene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts und auch deren Auswirkungen auf Individualprozesse zu Überstunden.
https://www.anwalt-fuer-arbeitsrecht-bremen.de/tipps-und-urteile/tipps-und-urteile-zum-arbeitsrecht-2022/arbeitgeber-ist-verpflichtet-ein-system-einzufuehren-mit-dem-die-von-den-arbeitnehmern-geleistete-arbeitszeit-erfasst-werden-kann
(eingestellt am 01.07.2023)