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Ist es zulässig, in einem Arbeitsvertrag eine Kündigungsfrist von 3 Jahren zu vereinbaren? (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.10.2017, Aktenzeichen 6 AZR 158/16)
Das wird Sie erstaunen: Ja, das ist zulässig. Aber …

Bevor ich die rechtlichen Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil näher erkläre, möchte ich den Sachverhalt, der dem Urteil zugrunde liegt, kurz beleuchten, denn das ist schon eine außergewöhnliche, interessante Geschichte:

Der Kläger war für den Arbeitgeber seit 01.12.2009 als Speditionskaufmann tätig. Das Monatsentgelt betrug 1400 € brutto. Im Jahre 2012 wurde von dem Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine vom Arbeitgeber vorformulierte Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag vorgelegt: Monatsentgelt jetzt 2400 €, mit Prämie, die ab einem bestimmten Erlös eintreten soll, 2800 €. Gesetzliche Kündigungsfrist für beide Seiten 3 Jahre zum Monatsende.
Am 22.12.2014 bemerkte ein Arbeitnehmer der Niederlassung, dass auf den Computern, den die Arbeitnehmer nutzten, das Programm „PC-Agent“ installiert war, das eine Überwachung des Arbeitsverhaltens ermöglichte. Der Kläger und 5 weitere Arbeitnehmer kündigten ihr Arbeitsverhältnis. Der Kläger kündigte am 29.12.2014 „ordnungsgemäß und fristgerecht“, wie es in seinem Kündigungsschreiben heißt, seinen Arbeitsvertrag zum 31.01.2015. Gleich nach der Kündigung stellte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bis zum 31.01.2015 von der Arbeit frei und bezahlte die Vergütung weiterhin. Der Arbeitnehmer begann ab dem 01.02.2015 eine Tätigkeit bei einer anderen Spedition in derselben Stadt.
Der Arbeitgeber erhob gegen den Arbeitnehmer Klage auf Feststellung, dass die Kündigung unwirksam sei und das Arbeitsverhältnis fortbestehe.
In dem Verfahren hat der Arbeitnehmer sich unter anderem darauf berufen, bei seiner Kündigung habe es sich wegen des Überwachungsprogramms um eine Kündigung aus wichtigem Grund gehandelt. Diese Begründung hielt das Bundesarbeitsgericht für nicht überzeugend, weil in dem Kündigungsschreiben von einer außerordentlichen Kündigung keine Rede war, sondern ausdrücklich ordentlich – wenn auch mit „falscher“ Kündigungsfrist – gekündigt worden war.

Zur Frage, ob die Kündigungsfrist zulässig war, entschied das Bundesarbeitsgericht, dass das nicht der Fall war. Es hat jedoch ausgeführt, dass das Gesetz grundsätzlich sogar eine arbeitsvertragliche Bindung des Arbeitnehmers bis zu einer Dauer von fünfeinhalb Jahren(!) (inklusive Kündigungsfrist von 6 Monaten) zulässt. Zu dieser Auffassung kann das Bundesarbeitsgericht aufgrund von § 622 Abs. 5 Satz 3 BGB und Abs. 6 dieser Vorschrift in Verbindung mit § 15 Abs. 5 Teilzeit- und Befristungsgesetz.
Im vorliegenden Fall hat es jedoch die vereinbarte Kündigungsfrist für unwirksam erklärt, weil die einschlägige Vertragsklausel eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellte.
Der Arbeitgeber habe mit ihr missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchgesetzt. Durch die extrem verlängerte Kündigungsfrist ist ein Wechsel des Arbeitgebers enorm erschwert. Diesem großen Nachteil stand kein angemessener Ausgleich von Seiten des Arbeitgebers gegenüber.

Entscheidende Details, die zu diesem Urteil geführt haben, waren:
Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer ein Formular überreicht, das er erstellt hatte. Er hatte dem Arbeitnehmer das Formular vorgelegt. Jedenfalls im Prozess hat er nicht vorgetragen, dass er dem Beklagten die reale Möglichkeit gegeben hat, die Ausgestaltung der Zusatzbestimmung zum Arbeitsvertrag mit zu beeinflussen.

>Formular, das vom Arbeitgeber erstellt wurde< und >keine Möglichkeit der Beeinflussung durch den Arbeitnehmer< ist hier der entscheidende Gesichtspunkt. Wäre von den Parteien frei verhandelt worden, hätte es anders ausgesehen. Dann wäre § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zur Anwendung gekommen.
Bei Verwendung eines Formulars aber ist, wenn eine Kündigungsfrist vereinbart wurde, die wesentlich länger ist als die Regelfrist des § 622 Abs. 1 BGB, „nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Beachtung von Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz zu prüfen, ob die verlängerte Frist eine unangemessene Beschränkung der beruflichen Bewegungsfreiheit darstellt.“ Bei dieser Abwägung fiel für das Bundesarbeitsgericht ins Gewicht, dass eine 45 Stundenwoche vereinbart war, es eine große Zahl von Speditionsunternehmen im Umfeld des Arbeitgebers gab, dass der Arbeitgeber durch den Arbeitsvertrag berechtigt war, den Kläger von der Arbeit freizustellen und dass das Gehalt durch die Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag für fast 3 Jahre eingefroren worden war. Ziel der Vereinbarung auf Arbeitgeberseite war, den Arbeitnehmer mit seinem Know-how nicht an einen Wettbewerber zu verlieren.

Tipp:
Bei einer wesentlichen Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist sollte man sich genau überlegen, ob man einen solchen Arbeitsvertrag eingehen kann.

Sollten Sie in Ihrem Arbeitsvertrag, der Ihnen als Formular vorgelegt worden ist, eine Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfrist finden, sollten Sie prüfen, ob nach der Vertragsformulierung für die Arbeitgeberseite eine Kündigungsfrist von mindestens gleicher Dauer gilt. Denn „für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer darf keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber“ (§ 622 Abs. 6 BGB).
Ist die Kündigungsfrist für die Arbeitgeberseite nicht entsprechend verlängert, so ist die Klausel unwirksam.

Hinweis:
Der Begriff „Formular“ im Sinne des Gesetzes erfasst nicht nur Vordrucke auf Papier, die man ausfüllt, sondern alle vor Vertragsschluss aufgezeichneten oder in sonstiger Weise fixierten Bedingungen, beispielsweise auch solche, die am Computer erstellt wurden.
(eingestellt am 01.09.2020)