Tipps und Urteile 2020

Interessant für Betriebsräte: Zuständigkeit der Einigungsstelle für den Regelungsgegenstand „mobiles Arbeiten“ (Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 25.02.2020, Aktenzeichen 5 TaBV 1/20)
Nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern kann eine Einigungsstelle für den Regelungsgegenstand „mobiles Arbeiten“ eingesetzt werden.

Die Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Forschungszentrum, dass mehr als 20 Standorte im gesamten Bundesgebiet und ca. 8500 Beschäftigte hat.
Der Gesamtbetriebsrat hat sich seit mehr als 4 Jahren vor der Einleitung dieses Verfahrens darum bemüht, mobiles Arbeiten mit der Arbeitgeberin zu regeln. Er legte einen Entwurf einer Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten vor, der mobiles Arbeiten im Gegensatz zur Telearbeit definiert und vorsieht, dass Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Teilnahme an der mobilen Arbeit haben sollten. Die Arbeitgeberseite bestritt, dass der Betriebsrat Mitbestimmungsrechte habe und sie lehnte Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung ab. Sie verwies darauf, mobiles Arbeiten mit betroffenen Arbeitnehmern im Einzelfall regeln zu wollen.

Die Einzelbetriebsräte von 10 betroffenen Standorten haben den im Unternehmen gebildeten Gesamtbetriebsrat beauftragt, die Einigungsstelle anzurufen und gegebenenfalls gerichtlich einsetzen zu lassen. Das hat der Gesamtbetriebsrat dann am 21.02.2019 beschlossen. Er beantragte beim Arbeitsgericht Köln, an den 10 Standorten jeweils eine Einigungsstelle zum Thema „mobiles Arbeiten“ einzusetzen. Das Arbeitsgericht Köln trennte das Verfahren auf und verwies die Anträge, die den „Standort N.“ (Ich vermute: Neubrandenburg) betrafen, an das Arbeitsgericht Stralsund. Das Arbeitsgericht Stralsund hat eine Einigungsstelle mit einem Vorsitzenden und je 3 Beisitzern von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite eingesetzt.
Gegen diese Entscheidung hat der Arbeitgeber bei dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschwerde eingelegt.
Unter anderem wandte der Arbeitgeber sich gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, weil die 1. Instanz zu Unrecht die Einigungsstelle als zuständig betrachtet habe. Es bestehe nämlich kein Mitbestimmungsrecht. Der örtliche Betriebsrat habe den Gesamtbetriebsrat nicht ausreichend bevollmächtigt. Der örtliche Betriebsrat habe den Gesamtbetriebsrat mit dem Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung beauftragt (also keiner Betriebsvereinbarung direkt für den Betrieb). Außerdem habe er den zugrunde liegenden Sachverhalt nicht genau genug bezeichnet. Daher habe er eine unzulässige Delegation seiner Aufgaben vorgenommen, die einer teilweisen Selbstabdankung gleichkomme.
Das Landesarbeitsgericht hat den Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund bestätigt. Eine Unzuständigkeit der Einigungsstelle, so das Landesarbeitsgericht, kann sich daraus ergeben, dass eine Beilegung der Meinungsverschiedenheit durch die Betriebspartner selbst noch möglich ist, dass ein Mitbestimmungsrecht, dass die Anrufung der Einigungsstelle ermöglicht, nicht besteht oder das Mitbestimmungsrecht nicht dem antragstellenden, sondern einem anderen Betriebsrat zusteht.
Keinen dieser Unzuständigkeitsgründe konnte das Landesarbeitsgericht erkennen.
Dass eine Beilegung der Meinungsverschiedenheit durch die Betriebspartner selbst noch möglich sei, hat das Landesarbeitsgericht – kurz zusammengefasst – schon daraus geschlossen, dass die Arbeitgeberin auf Verhandlungsangebote des Gesamtbetriebsrats über mehrere Jahre nicht eingegangen ist. Wenn ein Verhandlungspartner generell Verhandlungen ablehnt, bleibt der Gegenseite gar nichts anderes übrig, als die gerichtliche Einsetzung einer Einigungsstelle zu beantragen, so das Landesarbeitsgericht.
Es fehle auch nicht an einem betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
Das mobile Arbeiten berühre Mitbestimmungsrechte aus gemäß § 87 Abs. 1 Nummer 2 Betriebsverfassungsgesetz (Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage), § 87 Abs. 1 Nummer 6 Betriebsverfassungsgesetz (Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen) und § 87 Abs. 1 Nummer 7 Betriebsverfassungsgesetz (Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften).
Denn beim mobilen Arbeiten werden regelmäßig elektronische Endgeräte eingesetzt. Diese lassen es regelmäßig zu, Verhalten und Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Sie können auch zur Kontrolle der Arbeitszeiten eingesetzt werden. Außerdem stellen sich regelmäßig Fragen des Gesundheitsschutzes, zum Beispiel nach der Erreichbarkeit des Arbeitnehmers, der Gewährleistung der Arbeitssicherheit außerhalb des Betriebsgeländes oder auf einem eingerichteten Heimarbeitsplatz.
Auch bestehe ein kollektiver Bezug, denn es sind nicht nur die Interessen einzelner mobil arbeitender Arbeitnehmer betroffen, sondern auch die Interessen der Kollegen. So wird zu regeln sein, wie Erreichbarkeit zu gewährleisten ist, wie die Zusammenarbeit und der Datenaustausch mit Kollegen stattzufinden haben etc..

Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, dass ein wirksamer Beschluss und Auftrag gemäß § 50 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz an den Gesamtbetriebsrat erfolgt ist. Im Rahmen der Beurteilung der Wirksamkeit der Beauftragung hat das Landesarbeitsgericht sich auch mit dem Einwand der Arbeitgeberseite einer „teilweisen Selbstabdankung“ des örtlichen Betriebsrats auseinandergesetzt. Das Landesarbeitsgericht hat in Übereinstimmung mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darauf hingewiesen, dass es nicht zulässig ist, wenn ein Einzelbetriebsrat ganze Sachbereiche an den Gesamtbetriebsrat überträgt. Eine Übertragung kann immer nur für eine bestimmte Angelegenheit erfolgen. Der Einzelbetriebsrat darf sich durch eine Übertragung nicht selbst um seine wesentlichen Mitbestimmungsrechte bringen. In der Beauftragung für die Regelung des mobilen Arbeitens hat das Landesarbeitsgericht aber eine Einschränkung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht gesehen.

Stellungnahme/Erläuterung
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern ist zu begrüßen.
Ein Antrag an das Arbeitsgericht auf Einsetzung einer Einigungsstelle kann nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist (§ 100 Abs. 1 Satz 2 Arbeitsgerichtsgesetz). Die Einigungsstelle muss ihre Zuständigkeit selbst prüfen. Sinn dieser Regelung im Arbeitsgerichtsgesetz ist, dass die Einigungsstelle schnell tätig werden kann und so einen Sachverhalt möglichst zügig regeln kann. Bei der angestrebten Betriebsvereinbarung ging es um den Einsatz von Mobilgeräten, die naturgemäß geeignet sind, Verhalten und Leistung von Arbeitnehmern zu überwachen und auch zur Arbeitszeitkontrolle eingesetzt werden können, außerdem ging es um Fragen des Gesundheitsschutzes. Darüber hinaus werden auch noch Fragen zur Arbeitszeit- und Pausenregelung geregelt werden müssen. Man kann daher wohl eher umgekehrt sagen, dass die Einigungsstelle im vorliegenden Fall offensichtlich zuständig war.

Auch die Frage der wirksamen Beauftragung des Gesamtbetriebsrats durch den Einzelbetriebsrat hat das Landesarbeitsgericht zutreffend beantwortet. Es handelt sich um eine Beauftragung mit einer klar abgegrenzten Angelegenheit, nicht um eine komplette Abgabe von Mitbestimmungsrechten an den Gesamtbetriebsrat.
(eingestellt am 01.05.2020)