Tipps und Urteile 2020

Verstößt eine Urlaubsreise in ein SARS-CoV-2-Risikogebiet gegen den Arbeitsvertrag? Kann nach Rückkehr von einer solchen Reise einem an dem Virus Erkrankten die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verweigert werden?

1. Nach Rückkehr von der Reise ist man verpflichtet, sich 14 Tage lang selbst zu isolieren
In Bremen wird durch die "Elfte Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Elfte Coronaverordnung) vom 14. Juli 2020 (Brem.GBl. 2020, 552)" (Ihre Ermächtigungsbasis ist das Infektionsschutzgesetz, § 32) in § 20 Abs. 1 bestimmt, dass „Personen, die auf dem Land-, See-, oder Luftweg aus dem Ausland in die Freie Hansestadt Bremen einreisen und sich zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb von 14 Tagen vor Einreise in einem Risikogebiet nach Absatz 6 aufgehalten haben“ verpflichtet sind, „sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Häuslichkeit oder eine andere geeignete Unterkunft zu begeben und sich für einen Zeitraum von 14 Tagen nach ihrer Einreise ständig dort abzusondern, (…).“
In § 20 Abs. 6 der Verordnung wird als Risikogebiet im Sinne des Abs. 1 definiert „… ein Staat oder eine Region außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, für welche zum Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besteht. Die Einstufung als Risikogebiet erfolgt durch das Bundesministerium für Gesundheit, das auswärtige Amt und das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat und wird durch das Robert Koch-Institut veröffentlicht.“ In den anderen Bundesländern gibt es ähnliche Verordnungen.

2. Was gilt, wenn ein Arbeitnehmer trotz der Einstufung des Reiselandes als Risikogebiet dort hinreist?Stellt das einen Verstoß gegen den Arbeitsvertrag dar?
Grundsätzlich darf der Arbeitnehmer reisen, wohin er will. Er schuldet dem Arbeitgeber darüber keine Rechenschaft. Das Reiseziel als solches kann der Arbeitgeber mittelalterlichen Mitteln nicht beeinflussen.
Aber: Wenn der Arbeitnehmer sich gesetzeskonform verhält, muss er sich nach seiner Rückkehr auf direktem Weg nach Hause begeben und dort 14 Tage bleiben. Er kann nicht zur Arbeit erscheinen. Nicht nur das – er darf es nicht. Er ist verpflichtet, sich unverzüglich beim Gesundheitsamt zu melden (§ 20 Abs. 2 der Verordnung)!
Da dies dem Arbeitnehmer von vornherein bekannt ist, bevor er die Reise antritt, wäre es ein Verstoß gegen den Arbeitsvertrag, wenn er dies täte, ohne Vorsorge im Hinblick auf seine arbeitsvertraglichen Pflichten nach seiner Rückkehr von der Reise zu treffen. Wenn er nach Ende des Urlaubs nicht zur Arbeit erscheint, weil er sich nach der Verordnung absondern muss, dürfte das eine Abmahnung rechtfertigen.
Den betroffenen Arbeitnehmern rate ich daher, entsprechend zu planen und gegebenenfalls entsprechende Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber zu treffen. So wäre zum Beispiel denkbar, dass man für 14 Tage in das Urlaubsland reist und dann nach Rückkehr 14 Tage des Urlaubs zu Hause verbringt. Reicht der Urlaubsanspruch nicht, so ist das Abfeiern von Mehrarbeitsstunden denkbar oder auch eine unbezahlte Freistellung von der Arbeit. Eventuell kann auch eine Vereinbarung über zeitweilige Arbeit im Home Office getroffen werden.

Tipp:
Der Presse war kürzlich zu entnehmen, dass das Gesundheitsamt einen COVID-19 Test für Reiserückkehrer innerhalb sehr kurzer Zeit durchführen kann. Das Gesundheitsamt verweist auf seiner Homepage
www.gesundheitsamt.bremen.de
auf die „Corona Ambulanz Messe“, eine Corona-Ambulanz, die Gesundheit Nord in den Messehallen 5 und 6 eingerichtet hat.
www.gesundheitnord.de/patientundbesucher/aktuelle-informationen-zum-coronavirus/corona-ambulanz-messehalle-5-und-6-bremen.html
Dort sollten Sie sich vorab erkundigen, um vor Abreise schon ihren Zusatzzeitbedarf einzuschätzen. 

3. Was gilt, wenn der Arbeitnehmer mit oder ohne Symptome infiziert zurückkehrt? Hat er dann einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber?
Rechtsprechung und Literatur gehen davon aus, dass ein Entgeltfortzahlungsanspruch grundsätzlich auch dann besteht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seines eigenen Gesundheitszustandes in der Lage wäre, die Arbeit auszuführen, wenn aber von ihm eine Ansteckungsgefahr ausgeht (BAG, Urteil vom 26.04.1978, Aktenzeichen 5 AZR 7/77).
Also kann auch der Arbeitnehmer, der symptomlos infiziert ist, als arbeitsunfähig im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes gelten. „Kann“ meine ich deshalb, weil ein Arbeitnehmer, der im Home Office arbeitet oder arbeiten kann, nicht arbeitsunfähig ist. Aber wenn ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung an einem anderen Ort erbringen muss, dürfte er in der Regel arbeitsunfähig sein.

Doch Vorsicht:
Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz setzt voraus, dass der Arbeitnehmer seine Erkrankung nicht selbst verschuldet hat. Im Netz wird bereits diskutiert, dass die Reise in ein Risikogebiet als solche bereits ein Verschulden darstelle. Diese Auffassung würde ich nicht unterstützen – jedenfalls nicht so einfach. Denn es müsste der Einzelfall angesehen werden. Ist es generell gefährlich, sich in dem ganzen Land zu bewegen oder gibt es besondere Orte, die man meiden sollte?

Wer sich am Urlaubsort aber unter Alkoholeinfluss mit seinen Sitznachbarn in den Armen liegt und fröhliche Trinklieder singt, dem könnte man schon ein Verschulden vorwerfen.
In einem solchen Fall bestünde kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
Als Verschulden wurde bisher beispielsweise betrachtet, wenn der Arbeitnehmer Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften grob missachtet hat oder wenn er vom Arbeitgeber überlassene Schutzkleidung nicht verwendet hat. Im Bereich des Sports wurde der Vorwurf des eigenen Verschuldens im Hinblick auf besonders gefährliche Sportarten erhoben, zu nennen sind Kickboxen und Bungeejumping (Verletzungen beim Boxen, Drachenfliegen, Fallschirmspringen, Fußball und Motorradrennen wurden hingegen als unverschuldet angesehen). In Bezug auf Aids-Erkrankungen wurde in der Literatur ebenfalls die Frage des Verschuldens diskutiert. Sie ist von der Rechtsprechung aber bisher nicht entschieden.
Wie ein Streit um Entgeltfortzahlung vor Gericht nach einer COVID-19 Infektion in einem Risikogebiet konkret ausgeht, ist derzeit schwer einzuschätzen.
(eingestellt am 15.07.2020)