Tipps und Urteile 2020

Betriebsratssitzungen per Webcam-Konferenzschaltung nach dem neuen § 129 Betriebsverfassungsgesetz
Der Bundestag hat am 23.04.2020 den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung ("Arbeit-von-Morgen-Gesetz") angenommen. Der Bundesrat hat dem Gesetz in seiner Sitzung vom 15.05.2020 zugestimmt. Die Änderung tritt rückwirkend ab dem 01.03.2020 in Kraft.

1. zum Inhalt des neuen § 129 Betriebsverfassungsgesetz
Das Gesetz sieht neben anderen wichtigen Gesetzesänderungen u. a. die Änderung von § 129 BetrVG vor, der den Titel "Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie" tragen soll.

Danach können Betriebsrats-, Gesamtbetriebsrats- und Konzernbetriebsratssitzungen, Jugend- und Auszubildendenvertretungssitzungen, Gesamt-, Jugend- und Auszubildendenvertretungssitzungen und auch Konzern-, Jugend- und Auszubildendensitzungen per Video- und Telefonkonferenz erfolgen. Auch dürfen auch diesem technischen Weg Beschlüsse gefasst werden.

Es muss allerdings sichergestellt sein, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Das bedeutet, dass jeder einzelne Teilnehmer dafür verantwortlich ist, dass er während der Konferenz allein in einem Raum ist und niemand still in einer Ecke sitzt und zuhört. Der Betriebsratsvorsitzende sollte zu Beginn der Sitzung ausdrücklich darauf hinweisen. Das Gesetz verbietet ausdrücklich Aufzeichnungen solcher Sitzungen. Eine von jedem Betriebsratsmitglied unterschriebene Anwesenheitsliste, wie § 34 Abs. 1. S. BetrVG sie für Präsenzsitzungen des Betriebsrats vorsieht, ist bei Video- bzw. Telefonkonferenzen naturgemäß nicht möglich. Das Gesetz sieht deshalb vor, dass die Teilnehmer der Sitzung ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen. Dasselbe gilt für in den genannten Gremien gebildete Ausschüsse, ebenso für die Einigungsstelle und dem Wirtschaftsausschuss.

Auch Betriebsversammlungen, Betriebsräteversammlungen und Jugend- und Auszubildendenversammlungen können mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis vom Inhalt der Versammlung nehmen können.

2. Bewertung/Tipps:
2.1 Präsenzveranstaltungen sind nach dem Gesetz die Regel

Grundsätzlich sieht das Betriebsverfassungsgesetz Präsenzsitzungen vor, bei denen auch die Beschlüsse gefasst werden. Nach der bisherigen Fassung des Betriebsverfassungsgesetzes waren Betriebsratssitzungen auf audiovisuellem Wege nicht zulässig. Das Gesetz will grundsätzlich, dass Sitzungen unter anwesenden Betriebsratsmitglieder stattfinden und hier auch die Beschlüsse gefasst werden. Das ist auch sinnvoll. Denn auf Präsenzsitzungen ist immer neben den offiziellen Wortbeiträgen auch ein Austausch unter einzelnen Teilnehmern möglich, der für das Sitzungsergebnis durchaus bedeutsam ist. Kollegen können sich z. B. über Informationen austauschen, deren Kenntnis sie für einzelne Teilnehmer für wichtig halten, die sie aber nicht ins Gesamtgremium einbringen möchten. Bei Videokonferenzen wird es dagegen in der Regel beim Austausch der Wortbeiträge direkt während der offiziellen Veranstaltung bleiben. Es ist auch etwas anderes, ob die "Person als Ganzes" in einer Präsenzveranstaltung oder nur am Bildschirm wirkt.

2.2 audiovisuelle Sitzungen nach pflichtgemäßem Ermessen
§ 129 BetrVG ist also eine Ausnahmevorschrift. Vor diesem Hintergrund muss der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen einladen. Audiovisuelle Sitzungen dürfen nicht ungeprüft zur Regel werden. Im Einzelfall muss der Vorsitzende entscheiden, ob er zu einer Präsenzsitzung oder zu einer audiovisuellen Sitzung lädt. Je größer das Gremium und somit das Ansteckungspotential, desto eher wird man den Weg der audiovisuellen Sitzung wählen müssen. Umgekehrt kann es bei kleinen Gremien, die über große Sitzungsräume verfügen (welche ausreichende Sicherheitsabstände ermöglichen), geboten sein, Präsenzsitzungen durchzuführen.

2.3 in welcher Form muss die Anwesenheit bei audiovisuellen Betriebsratssitzungen bestätigt werden? Textform bedeutet gem. § 126 b BGB im Zusammenhang mit audiovisuellen Betriebsratssitzungen vor allem E-Mail oder Messenger-Dienste. Um eine ordentlich Archivierung der Anwesenheitsbestätigungen der Teilnehmer zu ermöglichen, empfehle ich, sich auf die Bestätigung der Anwesenheit per E-Mail zu einigen. Der Vorsitzende sollte sich von den Teilnehmern nicht nur die Teilnahme bestätigen lassen, sondern auch, dass keine unberechtigten Personen von der Sitzung Kenntnis nehmen können.

2.4 wie man technische und verfahrenstechnische Probleme behandeln sollte Es kann bei solchen Konferenzen passieren, dass einzelne Teilnehmer während der Sitzung aufgrund von Übertragungsschwierigkeiten plötzlich "Offline" sind. Alle und insbesondere der Vorsitzende sollten darauf achten, dass insbesondere bei Beschlussfassungen wirklich alle Mitglieder live dabei sind.
Auch "gemischte Sitzungen", bei denen ein Teil der Teilnehmer präsent ist und ein Teilnehmer zugeschaltet, dürften zulässig sein. Man kann sich das beispielsweise vorstellen, wenn die Anreise zu Sitzungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu risikoreich ist.
Da ist sicherlich eine schwierige Zusammensetzung der Sitzung, bei der es den "Zugeschalteten" erheblich schwerer fallen dürfte, dem Sitzungsinhalt zu folgen. Darauf muss vom Vorsitzenden und den teilnehmenden Kollegen besonders Rücksicht genommen werden. Schriftstücke müssen verlesen werden, damit die Abwesenden sie im Zweifel auch zur Kenntnis nehmen können. Es sollte darauf geachtet werden, dass insbesondere präsente Teilnehmer vor Wortbeiträgen auch klarstellen, wer sie sind, um den nicht anwesenden Kollegen zu ermöglichen, zwischen den Beiträgen der einzelnen Teilnehmer zu unterscheiden.

Das Ganze ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Betriebsratstätigkeit. Hoffen wir, dass der Spuk bald vorbei ist.
(eingestellt am 15.05.2020)