Tipps und Urteile 2018

Die Weisung eines Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, sich am nächsten Morgen um 7:00 Uhr an einem ca. 170 km entfernten Arbeitsort einzufinden, kann unwirksam sein, weil sie unzumutbar ist. (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.11.2017, Aktenzeichen 2 Sa 965/17)

Die Chronologie der Ereignisse zeigt schon, was die Arbeitgeberin hier beabsichtigte. Der Kläger ist gelernter Pferdewirt. Er war bei der Beklagten ab dem 01.08.2016 als Lagerarbeiter beschäftigt. Die Firma kündigte das Arbeitsverhältnis. Der Kläger erhob eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Potsdam.

24.04.2017, 13:00 Uhr
In der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht Potsdam nahm die Arbeitgeberin die Kündigung zurück und wies den Kläger an, sich am nächsten Morgen um 7:00 Uhr an einem 170 km entfernten Arbeitsort in Dresden einzufinden. (Die Fahrzeit vom Wohnort des Klägers dorthin mit dem Pkw hätte ca. 1 Stunde und 45 Minuten betragen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln 4 Stunden und 50 Minuten. Der Kläger hatte seine Fahrerlaubnis einige Zeit vorher verloren. Die bisherige Entfernung seines Wohnorts von seinem Arbeitsort erforderte eine Fahrzeit von 6 Minuten.)

25.04.2017
Der Kläger erschien nicht in Dresden, sondern an seinem ursprünglichen Arbeitsort. Er war der Meinung, dass er nicht verpflichtet sei, in Dresden zu erscheinen. Am selben Tag erhielt er eine Abmahnung und die erneute Anweisung, sich in Dresden zu melden. An diesem Tag sollte er an seinem ursprünglichen Arbeitsort die Hausmeister unterstützen. Er wurde angewiesen, in einem Raum der Firma auf Abholung durch einen Hausmeister zu warten. Ob der Raum beheizt war oder nicht, blieb zwischen den Parteien des Rechtsstreits strittig. Nachdem 1,5 Stunden lang niemand erschienen war, ging der Kläger nach Hause. Der Kläger erhielt deshalb eine 2. Abmahnung und noch eine 3. Abmahnung vom selben Tag, wieder, weil er sich nicht in Dresden eingefunden hätte.

27.04.2017
Der Kläger erschien wieder nicht in Dresden. Die Firma erklärte deshalb die außerordentliche, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger erhob eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Potsdam. Dort bekam er recht. Das Arbeitsgericht Potsdam erklärte die Kündigung für unwirksam. Vor dem Arbeitsgericht hatte die Firma sich auf eine Arbeitsverweigerung des Klägers berufen, die nach ihrer Meinung vorlag.

Die Firma legte Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gab dem Kläger ebenfalls Recht. Da der Arbeitsort des Klägers in dem Arbeitsvertrag nicht genannt war, richtete sich die Versetzungsbefugnis der Arbeitgeberin nach § 106 Satz 1 Gewerbeordnung und § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB. Der Arbeitgeber muss sich bei seinen Arbeitsanweisungen an die Grenzen des billigen Ermessens halten.
Nach dieser gesetzlichen Regelung muss eine Abwägung der wechselseitigen Interessen der Parteien des Arbeitsvertrages erfolgen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg stellte fest, dass die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen „eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit“ verlange. Alle Umstände des Einzelfalls seien einzubeziehen. Dazu, so das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, „… gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen.“
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg sah das „berechtigte Interesse des Arbeitnehmers an kurzen Pendelzeiten und geringem finanziellen Aufwand … “ als ein wesentliches Kriterium im Rahmen der Abwägung an. Bei wichtigen dienstlichen Gründen, so das Landesarbeitsgericht, könnten längere Pendelzeiten zumutbar sein, bei Gründen mit geringem Gewicht nicht.

Das Landesarbeitsgericht schloss aus der Chronologie der Ereignisse, dass es der Arbeitgeberin nicht um betriebliche Notwendigkeiten, sondern darum ging, den Arbeitnehmer zu disziplinieren. Hinzu kam, dass die Arbeitgeberin die betrieblichen Notwendigkeiten in dem Rechtsstreit hätte darlegen müssen. Das hat sie aber nicht getan. Sie hat lediglich dargelegt, dass sie in Dresden einen Arbeitnehmer benötige, der deutschsprachig sei. Am ursprünglichen Arbeitsort seien alle Arbeitsplätze besetzt.

Das war ein erheblich zu dürftiger Vortrag der Firma.

Bewertung:
Das Landesarbeitsgericht hatte hier einen besonders krassen Fall zu entscheiden. Das Ergebnis überrascht nicht. Hilfreich finde ich die detaillierte Aufstellung der Kriterien der für die Entscheidung der Frage der Zumutbarkeit heranzuziehenden Kriterien. Schwieriger sind die Fälle, in denen Arbeitgeber sich in „Grenzregionen vorarbeiten“, in denen man nicht so eindeutig wie im vorliegenden Fall schon „auf den ersten Blick“ feststellen kann, dass die Weisung des Arbeitgebers unzumutbar ist. Der Arbeitnehmer, der dann einer Arbeitgeberweisung nicht Folge leistet, sieht sich mit der Gefahr einer verhaltensbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses konfrontiert.

Tipp:
In einem solchen Grenzfall ist es schwer, die richtige Entscheidung zu finden. Eventuell kann es dann empfehlenswert sein, der unzumutbaren Weisung Folge zu leisten und beim zuständigen Arbeitsgericht die Feststellung der Unwirksamkeit der Weisung zu beantragen.

In Betrieben mit Betriebsrat ist es nicht so einfach für die Arbeitgeberseite. Unabhängig davon, ob eine Weisung wie die hier vorliegende zumutbar ist oder nicht. Bei der Weisung, an einem 170 km entfernten Arbeitsort zu erscheinen, handelt es sich um eine Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz. Denn die Zuweisung des anderen Arbeitsorts ist mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Für eine solche Versetzung benötigt die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 99 Betriebsverfassungsgesetz. Ohne diese Zustimmung darf der Arbeitgeber die Versetzung nur vorläufig durchführen, wenn dies dem Betriebsrat unverzüglich mitteilt. Bestreitet der Betriebsrat die dringende Erforderlichkeit der Versetzung und teilt dies dem Arbeitgeber unverzüglich mit, muss der Arbeitgeber innerhalb von 3 Tagen beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats beantragen (§ 100 Betriebsverfassungsgesetz). Wenn der Arbeitgeber das nicht macht, endet die Versetzung bereits nach 4 Tagen.
(eingestellt am 15.04.2018)