Tipps und Urteile 2018

Ein Verzicht auf eine Sozialplanabfindung ist nur mit Zustimmung des Betriebsrats wirksam. Das Verzichtsverbot gilt nur dann nicht, wenn die Parteien einen sogenannten Tatsachenvergleich abgeschlossen haben.
(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.04.2017, Aktenzeichen 1 AZR 714/15)

In dem zugrunde liegenden Fall war ein Betriebsteil, in dem die Arbeitnehmerin tätig war, mehrfach auf andere Arbeitgeber übergegangen. Dem letzten Betriebsübergang widersprach die Arbeitnehmerin. Ihr Arbeitsverhältnis wurde daraufhin mit Schreiben vom 27. Juni 2012 gekündigt. Die Arbeitnehmerin erhob gegen die Kündigung eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Sie beantragte zusätzlich die Feststellung durch das Gericht, dass ihr eine Abfindung aus einem zuvor im Jahre 2004 abgeschlossenen Sozialplan zustehe, hilfsweise die Zahlung einer Sozialplanabfindung.
Vor dem zuständigen Landesarbeitsgericht schlossen die Arbeitnehmerin und die letzte Arbeitgeberin einen Vergleich, in dem die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 150.000 € vereinbart wurde. Eine Klausel des Vergleichs lautete:

„Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind sämtliche beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, abgegolten. (…)“

Nach Abschluss dieses Gerichtsvergleichs erhob die Arbeitnehmerin eine weitere Klage. Mit der weiteren Klage machte die Arbeitnehmerin die Zahlung weiterer rund 65.000 € geltend. Sie begründete ihre Forderung mit einem Sozialplan, der von einer Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin im Jahre 2004 abgeschlossen worden war.

Vor Abschluss des Vergleichs vor dem Landesarbeitsgericht hatten die Parteien sich auch über die Auslegung des Sozialplans aus dem Jahr 2004 gestritten.
Das Bundesarbeitsgericht hat in dem jetzigen Rechtsstreit um die 65.000 € festgestellt, dass dann, wenn in einem Vergleich strittige Rechtsfragen beigelegt werden, darin immer auch ein Verzicht auf einen Rechtsanspruch liegt. Ein Verzicht auf Rechte aus einer Betriebsvereinbarung ist jedoch gemäß § 77 Abs. 4 Betriebsverfassungsgesetz nur mit Zustimmung des Betriebsrats wirksam.
Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt: Ein sogenannter Tatsachenvergleich würde nicht unter das Verzichtsverbot aus § 77 Abs. 4 Betriebsverfassungsgesetz fallen. Ein Tatsachenvergleich liegt aber nur dann vor, wenn die Parteien sich darüber streiten, ob die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs gegeben sind, nicht, wenn sie um Rechtsfragen streiten.

Wegen weiterer aufklärungsbedürftiger Fragen hat das Bundesarbeitsgericht den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Die 65.000 € wurden der Arbeitnehmerin also noch nicht zugesprochen. Es ist aber klargestellt, dass ihr Anspruch durch den früheren Gerichtsvergleich nicht ausgeschlossen ist.

Tipp:
Von Nichtjuristen wird das Verzichtsverbot leicht übersehen. Es stellt einen besonderen Schutz von kollektivrechtlich erworbenen Ansprüchen dar und es sichert somit den Vertretungsanspruch des Betriebsrats für die von ihm vertretenen Arbeitnehmer. Ausserdem wird der einzelne Arbeitnehmer davor geschützt, dass der Arbeitgeber ihn zu Vereinbarungen drängt, die von einer Betriebsvereinbarung zum Nachteil des Arbeitnehmers abweichen.
Eine ähnliche Norm enthält § 4 Abs. 4 Tarifvertragsgesetz. Danach ist ein Verzicht auf entstandene Rechte aus einem Tarifvertrag in einem Vergleich unwirksam, wenn der Verzicht nicht von den Tarifvertragsparteien (also in der Regel Arbeitgeberverband und Gewerkschaft) gebilligt wird. Durch diese Norm wird das Recht der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Grundgesetz) geschützt.

(eingestellt am 18.02.2018)