Tipps und Urteile 2018

Wenn in dem Betrieb eines Unternehmens keine Schwerbehindertenvertretung und in dem Unternehmen keine Gesamtschwerbehindertenvertretung gewählt worden ist, ist vor Ausspruch der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen die Konzernschwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 SGB IX anzuhören. Eine ohne Anhörung der Konzernschwerbehindertenvertretung ausgesprochene Kündigung ist unwirksam gemäß § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX. (Arbeitsgericht Darmstadt, Urteil vom 14.11.2017, Aktenzeichen 9 Ca 249/17)
Das Arbeitsgericht Darmstadt hat im vorliegenden Fall die außerordentliche Kündigung eines Paketzustellers, der als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 80 anerkannt war, für unwirksam erklärt. Dem Paketzusteller war von der Arbeitgeberin vorgeworfen worden, er habe sich durch falsche Angaben eine höhere Stücklohnvergütung erschlichen. Ich stelle den Inhalt des Vorwurfs nicht genauer dar, da es hierauf nach dem Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt nicht mehr ankam.

Grund:
Die Arbeitgeberin hatte die im vorliegenden Fall zuständige Konzernschwerbehindertenvertretung nicht angehört. Die ohne Anhörung der Konzernschwerbehindertenvertretung ausgesprochene Kündigung ist unwirksam gemäß § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX.
Das neue an diesem Rechtsfall ist, dass die Kündigung an § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (seit dem 01.01.2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) zu messen war. Die vorgenannte Vorschrift wurde mit dem Bundesteilhabegesetz zum 30.12.2016 in Kraft gesetzt (ab dem 01.01.2018 hat sie lediglich die „Hausnummer“ geändert bekommen, inhaltlich ist sie gleich geblieben). Vor dem 30.12.2016 musste eine Schwerbehindertenvertretung zwar vor Ausspruch einer Kündigung angehört werden. Aber es hatte für den Arbeitgeber keine negativen Folgen, wenn er die Schwerbehindertenvertretung nicht anhörte.

Schon vor Inkrafttreten von § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (seit dem 01.01.2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) galt § 97 Abs. 6 SGB IX (seit dem 01.01.2018: § 180 Abs. 6 SGB IX) für die Vertretung der Interessen der schwerbehinderten Menschen.
Diese Regelung sieht eine Ersatzzuständigkeit der Gesamtschwerbehindertenvertretung dort vor, wo in einem Betrieb keine Schwerbehindertenvertretung besteht und weiter eine Ersatzzuständigkeit der Konzernschwerbehindertenvertretung dort, wo eine Gesamtschwerbehindertenvertretung nicht besteht. Aufgrund dieser Ersatzzuständigkeitenregelung hätte im vorliegenden Fall die Konzernschwerbehindertenvertretung angehört werden müssen. Da das nicht geschehen war, war die Kündigung unwirksam gemäߧ 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (seit dem 01.01.2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).

Hinweis:
In Betriebsverfassungsgesetz existiert eine solche Ersatzzuständigkeitenregelung nicht. Besteht in einem Betrieb kein Betriebsrat, so ist auch der Gesamtbetriebsrat nicht zu einer Kündigung anzuhören.

Bewertung:
Der Gesetzgeber hat das Verfahren der Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor der Kündigung von schwerbehinderten Menschen im Gesetz nicht näher ausgestaltet. So ist es Sache der Rechtsprechung, dies zu tun. Das Arbeitsgericht Darmstadt hat mit seiner begrüßenswerten und überzeugenden Entscheidung einen ersten Schritt auf dem Weg zur Verfahrensregelung getan und die Rechte schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben gestärkt.

Beachten Sie zum Kündigungsschutz von schwerbehinderten Menschen nach der ab dem 01.01.2017 geltenden Gesetzeslage auch das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 06.03.2018)

(Eingestellt am 15.12.2018)