Tipps und Urteile 2018
Ist ein/eine Arbeitnehmer*in verpflichtet, seine / ihre Mobilfunk-Telefonnummer an den Arbeitgeber herauszugeben? Das Thüringer Landesarbeitsgericht zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht von Arbeitnehmer*innen (Urteile des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 16. Mai 2018, Aktenzeichen 6 Sa 442/17 und 6 Sa444/17)
Der Prozess begann mit einer Abmahnung gegen zwei Mitarbeiter eines kommunalen Arbeitgebers. Die Kommune hatte die Rufbereitschaft für Notfälle abgeschafft, um Kosten zu sparen. Es war bis zum 31.12.2016 so gewesen, dass die zwei Mitarbeiter zuvor im Voraus 7 Tage die Woche für 24 Stunden zu Rufbereitschaft eingeteilt worden waren und ein Diensthandy zur Verfügung gestellt bekommen hatten. Sie bekamen dafür eine zusätzliche Vergütung für 2 Stunden an einem Wochentag und 4 Stunden an einem Wochenende. Diese Kosten wollte die Kommune einsparen und schaffte die Rufbereitschaft ab. Sie verlangte stattdessen von den Arbeitnehmern die Herausgabe von deren Mobilfunknummern, um es ihr im Fall von Notfällen zu ermöglichen, über die zuständige Rettungsleitstelle nach dem Zufallsprinzip (in Betracht kamen noch weitere Mitarbeiter der Kommune) Kontakt aufzunehmen.
Die Betroffenen weigerten sich, ihre privaten Mobilfunknummern ab dem 01.01.2017 an die Kommune herauszugeben. Die Kommune erteilte ihnen eine Abmahnung. Die Abmahnungen waren Gegenstand der Rechtsstreitigkeiten.
Das Landesarbeitsgericht verurteilte die Kommune, die Abmahnungen zurückzunehmen.
Es begründete sein Urteil mit dem thüringischen Datenschutzgesetz in Verbindung mit dem Thüringer Beamtengesetz, § 79 Abs. 1. Danach ist die Verarbeitung personenbezogener Daten ohne Einwilligung der Betroffenen nur zulässig, soweit dies „zur Begründung, Durchführung, Beendigung oder Abwicklung des Dienstverhältnisses oder zur Durchführung organisatorischer, personeller und sozialer Maßnahmen (…) und Personalwirtschaft (…) erforderlich ist (…)".
Da die Arbeitnehmer in die Verarbeitung ihrer Mobilfunknummern nicht eingewilligt hatten, war zu entscheiden, wie der Begriff der Erforderlichkeit zu bestimmen ist.
Der Arbeitgeber ist durch organisatorische Vorentscheidungen im allgemeinen in der Lage, den Begriff der Erforderlichkeit vorzuformen. Es muss deshalb, so das Thüringer Landesarbeitsgericht, ein schonender Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitgeberseite und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vorgenommen werden. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Menschen.
Die Datenerhebung und Datenverarbeitung darf, so das Thüringische Landesarbeitsgericht, keine übermäßige Belastung für den /die Arbeitnehmer/in darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen.
Das thüringische Landesarbeitsgericht sieht in der Erfassung der Telefonnummern der Arbeitnehmer einen erheblichen Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht. Das Persönlichkeitsrecht wird den Ausführungen des Gerichts zufolge nicht erst durch tatsächliche Anrufe des Arbeitgebers beeinträchtigt, sondern allein dadurch, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit erhält, anzurufen. „Freizeit“, so das Landesarbeitsgericht, „zeichnet sich gerade dadurch aus, dass Arbeitnehmer/innen in diesem Zeitraum den Arbeitgeber/innen nicht zur Verfügung stehen müssen und selbstbestimmt entscheiden können, wie und wo sie diese Freizeit verbringen. (…) Es gehört zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht. Erfasst ein/e Arbeitgeber/in die Mobiltelefonnummer gegen den Willen des/der Arbeitnehmers/in so ist dieses Recht beeinträchtigt.“
Der/die Arbeitnehmer/in müsse jederzeit und an jedem Ort mit einer Kontaktaufnahme durch den Arbeitgeber rechnen. Einem Kontaktaufnahmeversuch könne er sich nicht auf zumutbare Weise entziehen.
Der kommunale Arbeitgeber hatte argumentiert, dass er lediglich erwarte, dass bei einem Anrufversuch das Telefon nicht weggedrückt werde. Wenn der Arbeitnehmer unpässlich und daher nicht zur Arbeit bereit sei, habe das keine negativen Folgen für diesen.
Dem entgegnete das Landesarbeitsgericht, dass im Falle einer Kontaktaufnahme der/die Arbeitnehmer/in in die Situation gebracht wäre, sich für sein/ihr Freizeitverhalten zu rechtfertigen. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat der Arbeitgeber aber keinen Anspruch darauf, von Arbeitnehmer/innen irgendwelche Auskünfte über ihr Freizeitverhalten oder Rechtfertigungen darüber zu erhalten.
Im konkreten Fall hatte der Arbeitgeber schon durch die bis zum 31.12.2016 geltende Arbeitsorganisation gezeigt, dass er in der Lage war, die Arbeit so zu organisieren, dass dafür die Herausgabe der Mobilfunknummern der Arbeitnehmer/innen nicht erforderlich war.
Die von ihm selbst geschaffene Situation dürfe er nicht einseitig zulasten des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer/innen auflösen.
„Der Wunsch nach Leistung (ständige Verfügbarkeit) ohne jegliche Gegenleistung ist insoweit nicht ganz widerspruchsfrei.“ , so das thüringische Landesarbeitsgericht.
Und zu dem Argument des Beklagten, die Arbeitnehmer/innen der Kommune seien gemäß § 241 BGB zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers verpflichtet: „Das Austauschverhältnis im Arbeitsverhältnis erschöpft sich in der Regel darin, dass der Kläger die Arbeitsleistung erbringt und hierfür die Vergütung erhält. Dass er darüber hinaus in seiner Freizeit, mithin ständig, seinem Arbeitgeber zur Verfügung zu stehen hat, ergibt sich daraus gerade nicht.“
Bewertung:
Die Urteile ergingen noch vor Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung. Die Fälle sind aber auch nach deren Inkrafttreten nicht anders zu beurteilen. Es ist erfreulich, mit welcher großen Deutlichkeit das thüringische Landesarbeitsgericht den Wert des informationellen Selbstbestimmungsrechts betont. Vor dem Hintergrund, dass bei vielen Arbeitgebern immer noch die Tendenz festzustellen ist, eine ständige Erreichbarkeit der Arbeitnehmer sicherzustellen, sind diese Urteile umso wertvoller.
(eingestellt am 15.08.2018)