Tipps und Urteile 2018

Zum Beispiel Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld: Unwirksamkeit eines vertraglichen Freiwilligkeitsvorbehalts in einem Formulararbeitsvertrag wegen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Nummer 1 BGB, betriebliche Übung (BAG, Urteil vom 14.09.2011, Aktenzeichen 10 AZR 526/10)
Um dieses Urteil verstehen zu können, muss man zunächst wissen, was eine betriebliche Übung ist:
Die Rechtsprechung versteht darunter ein regelmäßig wiederholtes Verhalten eines Arbeitgebers zugunsten des Arbeitnehmers, aus dem der Arbeitnehmer den Schluss ziehen kann, ihm solle eine Leistung in Zukunft auf Dauer gewährt werden. Ein solches Verhalten ist als Vertragsangebot zu werten. (Beispiel: der Arbeitnehmer erhält wiederholt ein Weihnachtsgeld.) Eine solche Leistung wird vom Arbeitnehmer stillschweigend angenommen. Aus diesem Verhalten des Arbeitgebers ergeben sich Ansprüche auch für die Zukunft. Entscheidend für den Anspruch ist nicht, ob der Arbeitgeber sich zu der Leistung für die Zukunft verpflichten wollte, sondern ob der Arbeitnehmer das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung aller Begleitumstände so verstehen durfte, dass der Arbeitgeber sich über seine gesetzlichen, tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Pflichten hinaus verpflichten wollte.

In dem zugrunde liegenden Fall war der Arbeitnehmer mehr als 20 Jahre lang beim Arbeitgeber beschäftigt. Er erhielt jeweils ein 13. Monatsgehalt ausgezahlt, das der schriftliche Arbeitsvertrag nicht behandelte. Der Arbeitgeber wollte das 13. Monatsgehalt nicht mehr zahlen. Er berief sich vor Gericht auf § 4 des Arbeitsvertrages. Dieser lautete:

„§ 4 (Abs.1) Der Arbeitnehmer erhält eine Bruttovergütung in Höhe von (…) (Abs. 3) Sonstige, in diesem Vertrag nicht vereinbarte Leistungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer sind freiwillig und jederzeit widerruflich. Auch wenn der Arbeitgeber sie mehrmals und regelmäßig erbringen sollte, erwirbt der Arbeitnehmer dadurch keinen Rechtsanspruch für die Zukunft.“

Das Bundesarbeitsgericht sprach dem Arbeitnehmer das 13. Monatsgehalt zu. Grund: Die Klauseln in Abs. 3 sind aus mehreren Gründen unwirksam.

1.
Der 1. Satz von Abs. 3 des Arbeitsvertrags kombiniert einen Freiwilligkeitsvorbehalt mit einem Widerrufsvorbehalt. Das ist schon in sich widersprüchlich. Denn ein Freiwilligkeitsvorbehalt bedeutet, dass der Arbeitgeber will, dass ein Anspruch in Zukunft gar nicht erst entsteht. Ein Widerrufsvorbehalt hingegen setzt voraus, dass ein Anspruch entstanden ist, der Arbeitgeber sich aber vorbehält, die Leistung zu widerrufen. „Auch für den um Verständnis bemühten Vertragspartner“, so das Bundesarbeitsgericht, werde nicht deutlich, „… ob nun jegliche zukünftige Bindung ausgeschlossen oder lediglich eine Möglichkeit eröffnet werden soll, sich später wieder von einer vertraglichen Bindung loszusagen.“ Das gelte erst recht, wenn eine Leistung mehrfach ohne weitere Vorbehalte gewährt werde. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Klausel daher als unwirksam wegen Unklarheit und Unverständlichkeit behandelt (§ 307 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 BGB).

2.
Nach dem Wortlaut in Abs. 3 gilt der Vorbehalt der Freiwilligkeit für alle zukünftigen Leistungen des Arbeitgebers, die nicht in dem Arbeitsvertragsformular erwähnt werden. Wenn man ihn genau liest, stellt man fest, dass nicht nur Ansprüche aus betrieblicher Übung ausgeschlossen werden, sondern alle Ansprüche, die aus welchem Grund auch immer entstehen. So könnte nach dem Wortlaut des Abs. 3 der Arbeitgeber sich sogar von vertraglichen Leistungen wieder lösen, wenn sie nach Abschluss des Arbeitsvertrages vereinbart worden sind. Ein wesentlicher Grundgedanke unserer Zivilrechtsordnung ist, dass Verträge eingehalten werden müssen. Gegen diesen Grundgedanken verstößt die Klausel und ist deshalb gemäß § 307 Abs. 2 Nummer 1 BGB unwirksam. Sie verstößt gegen einen weiteren gesetzlichen Grundgedanken, nämlich den Vorrang der Individualabrede, § 305b BGB.

Tipp:
Wenn eine zuvor regelmäßig gewährte Leistung Ihnen nicht mehr gewährt werden sollte: Falls Sie eine so wie im vorliegenden Fall oder ähnlich klingende Klausel in Ihrem Arbeitsvertrag finden sollten, sollten Sie diese anwaltlich überprüfen lassen. Da Formulararbeitsverträge von deren Verwendern in der Regel an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angepasst werden, würde ich Klauseln wie die vorstehende eher in älteren Arbeitsverträgen erwarten.
(eingestellt am 30.09.2018)