Tipps und Urteile 2018

Wenn der Arbeitgeber die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses mit einem schwerbehinderten Menschen erklären will, muss die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung am Beginn der vom Arbeitgeber zu treffenden Maßnahmen stehen (Arbeitsgericht Hagen (Westfalen), Urteil vom 06.03.2018, Aktenzeichen 5 Ca 1092/17).
Das Arbeitsgericht Hagen entschied: Die Zustimmung des Integrationsamtes darf erst nach der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung beantragt werden. Die ohne rechtzeitige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Eine nachträgliche Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung heilt diesen Mangel nicht. Wenn der Arbeitgeber bereits einen Antrag auf Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung gestellt hat, muss er den Antrag zurücknehmen, die Schwerbehindertenvertretung ordnungsgemäß anhören und danach einen neuen Antrag an das Integrationsamt stellen.

Hintergrund: Durch das Bundesteilhabegesetz wurde die Stellung der Schwerbehindertenvertretung wesentlich erweitert. Es wurde § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX in das Gesetz eingefügt. § 95 Abs. 2 SGB IX lautet:

„Der Arbeitgeber hat die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. (…) Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, ist unwirksam.“

Unklar blieb nach dieser Gesetzesänderung, wann die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung durchgeführt werden muss. Das Gesetz hat keinen konkreten Zeitpunkt genannt. Aus den Worten „… unverzüglich und umfassend …“ hat das Arbeitsgericht Hagen hergeleitet, dass die Schwerbehindertenvertretung ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 BGB) angehört werden muss, sobald der Arbeitgeber seinen Kündigungswillen gebildet hat. Es hat den Unterschied zu der Vorschrift des § 102 Abs. 1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz herausgearbeitet. Diese Vorschrift verlangt eine Anhörung des Betriebsrates „… vor jeder Kündigung …“. Das ist etwas anderes als „unverzüglich“. Die Entscheidung zur Kündigung fällt regelmäßig deutlich vor Ausspruch der Kündigung. Das ergibt sich daraus, dass vor Ausspruch der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen das Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt gemäß § 85 ff alte Fassung, § 168 ff neue Fassung des SGB IX durchgeführt werden muss.

Kommentar und Hinweise: Eine sehr überzeugende Gerichtsentscheidung, die die Stellung der Schwerbehindertenvertretungen und den Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen stärkt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es wurde beim Landesarbeitsgericht Hamm Berufung eingelegt, das dortige Aktenzeichen ist 15 Sa 426/18.

§ 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX wurde mit dem Bundesteilhabegesetz bereits zum 30.12.2016 in Kraft gesetzt. Die Vorschrift blieb bis zum 31.12.2017 in Kraft. Ab dem 01.01.2018 hat sie lediglich die „Hausnummer“ geändert bekommen. Sie existiert jetzt als § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX weiter. Das Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt war bis zum 31.12.2017 in den §§ 85 ff SGB IX geregelt. Seit dem 01.01.2018 gelten dafür die §§ 168 ff SGB IX. Das macht die Lektüre von Gerichtsentscheidungen zu diesem Thema unübersichtlich.

(Eingestellt am 01.12.2018)