Tipps und Urteile 2017

Verbesserung des Kündigungsschutzes für schwerbehinderte Arbeitnehmer:
Der neue § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX - die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ist unwirksam, wenn vor Ausspruch der Kündigung die Schwerbehindertenvertretung nicht beteiligt worden ist.
Schon bisher war in § 95 Abs. 2 SGB IX geregelt:
„Der Arbeitgeber hat die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen.“ 

Diese Vorschrift galt ausgehend vom Schwerbeschädigtengesetz in der Fassung vom 16.06.1953 (§ 13 Abs. 2 in teilweise sprachlich geänderter Fassung, jedoch vom Inhalt her gleich) ca. 60 Jahre lang. 

Ab dem 30.12.2016 ist Satz 3 hinzugekommen:
„Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, ist unwirksam.“ 

Bis zum 29.12.2016 blieb die unterlassene Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen für den Arbeitgeber im Hinblick auf die Wirksamkeit der Kündigung sanktionslos. Eine Kündigung, die ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausgesprochen war, blieb trotzdem wirksam.
Jetzt gilt eine Regelung analog zu § 102 Abs. 1 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz. 

Das Integrationsamt muss vor Ausspruch einer Kündigung nur beteiligt werden, wenn das Arbeitsverhältnis von schwerbehinderten Menschen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung länger als 6 Monate bestanden hat (§ 90 Abs. 1 SGB IX).
Eine solche Wartefrist enthält § 95 Abs. 2 SGB IX für die Frage der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung jedoch nicht. Somit muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung auch dann beteiligen, wenn das Arbeitsverhältnis noch keine 6 Monate bestanden hat.

In der Literatur ist derzeit noch umstritten, in welcher Reihenfolge der Arbeitgeber Schwerbehindertenvertretung und Integrationsamt beteiligen muss. Das Gesetz trifft dazu keine ausdrückliche Regelung. Eine Auffassung in der Fachliteratur lautet zu Recht, dass die  Anhörung der Schwerbehindertenvertretung bereits erfolgt sein muss, bevor der Arbeitgeber einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung an das Integrationsamt stellt. Weil das Integrationsamt behinderungsbedingte Nachteile ausgleichen solle, müsse das Integrationsamt auch überwachen, dass der Arbeitgeber den besonderen Schutz durch die Schwerbehindertenvertretung beachtet, den das Gesetz schwerbehinderten Menschen ermöglicht.
Da das Gesetz einen möglichst umfassenden Schutz der Rechte schwerbehinderter Menschen erreichen will, halte ich diese Auffassung für richtig. Der Schutz der Rechte schwerbehinderter Menschen ist umso umfassender, je früher die Schwerbehindertenvertretung eingeschaltet wird. Für diese Interpretation spricht auch der Wortlaut von § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Der Arbeitgeber muss die Schwerbehindertenvertretung „vor einer Entscheidung“ anhören. Wenn der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung beantragt, ist die Entscheidung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses bereits getroffen. 

Konkrete Fristen für die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung sieht das Gesetz nicht vor. In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass mit den Fristen des § 102 Betriebsverfassungsgesetz gearbeitet werden sollte, also eine Woche bei einer ordentlichen und 3 Tage bei einer außerordentlichen Kündigung des schwerbehinderten Menschen.

§ 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX wird im Zuge einer bereits jetzt beschlossenen Änderung des Gesetzes ab dem 1.1.2018 zu § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX.

(eingestellt am 27.02.2017)