Tipps und Urteile 2016

„Ist Ihr Arbeitsverhältnis tarifgebunden?“ Manchmal rutscht mir bei Beratungsgesprächen diese Frage heraus. Obwohl ich eigentlich ganz genau weiß, dass nur die wenigsten Arbeitnehmer diese Frage präzise beantworten können. Betriebsräte, die das entsprechende Wissen in Seminaren erworben haben, wissen es in der Regel. Andere Arbeitnehmer oft nicht.

Also: die Frage nach der Tarifbindung bedeutet die Frage danach, ob auf das Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag anzuwenden ist. Es gibt drei „sichere“ und zwei „unsichere“ Tatbestände. Zunächst die drei sicheren: 

  1. Gewerkschaftszugehörigkeit und Arbeitgeberverbandszugehörigkeit
    Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände schließen Tarifverträge ab (Tarifvertragsgesetz, § 2 Abs. 1).
    Der gewissermaßen „klassische Fall“ der Tarifbindung ist, dass der Arbeitnehmer eines Betriebs Mitglied in der Gewerkschaft ist, mit der der Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag abgeschlossen hat. Auf der anderen Seite muss der Arbeitgeber Mitglied des Arbeitgeberverbandes sein. Der Tarifvertrag gilt wegen der beiderseitigen Mitgliedschaft in den jeweiligen Verbänden (Tarifvertragsgesetz, § 3 Abs. 1).
    Ein Unterfall davon ist, dass die Gewerkschaft einen Tarifvertrag direkt mit einem Arbeitgeber abschließt (ergibt sich ebenfalls aus Tarifvertragsgesetz, §§ 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1). Ein solcher Tarifvertrag wird „Haustarifvertrag“ genannt, weil er nicht „in der Fläche“ für alle alle Unternehmen, sondern eben nur für einzelne Unternehmen gilt. 
  1. Allgemeinverbindlichkeit
    Die Landesarbeitsministerien können Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären. Das bewirkt, dass Tarifverträge dann für alle Unternehmen einer Branche und deren Arbeitnehmer in einem bestimmten Tarifgebiet verbindlich gelten. Dann ist eine Gewerkschaftszugehörigkeit oder Arbeitgeberverbandszugehörigkeit keine Voraussetzung für die Tarifbindung mehr. Eine Liste der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge findet man übrigens auf der Homepage des Bundesarbeitsministeriums. 
  1. Arbeitsvertragliche Vereinbarung
    Diese kommt öfters vor. Im Arbeitsvertrag könnte dann in etwa folgende Klausel enthalten sein: „Auf das Arbeitsverhältnis findet der XY-Tarifvertrag und die diesen ergänzenden Tarifverträge Anwendung.“ Der in Bezug genommene Tarifvertrag muss genau benannt werden.
    (Die Arbeitsrechtsjuristen unterscheiden bei den Bezugnahmeklauseln zwischen statischen und dynamischen Bezugnahmeklauseln.
    Bei den Letzteren gibt es wiederum die „kleine dynamische Bezugnahmeklausel“ und die „große dynamische Bezugnahmeklausel“. Die statische Bezugnahmeklausel bewirkt, dass der Tarifvertrag in genau der Fassung gilt, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages gültig war. Verändert sich der Tarifvertrag, so verbleibt es für die Parteien des Arbeitsvertrages im Fall von statischen Bezugnahmeklauseln weiterhin bei der Gültigkeit des zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages gültigen Tarifvertrag.
    Wenn eine dynamische Bezugnahmeklausel vereinbart worden ist, nimmt der Arbeitsvertrag an der Veränderung der Tarifverträge teil. Und wenn eine große dynamische Bezugnahmeklausel vereinbart worden ist, gibt es eine Tarifbindung auch dann, wenn sich die insgesamt für den Betrieb gültigen Tarifverträge ändern. Zum Beispiel, wenn Tarifverträge einer ganz anderen Branche gelten.)

    In der Regel ist es so, dass Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer auch dann nach dem Tarifvertrag, der in ihren Betrieben gilt, bezahlen, obwohl die Arbeitnehmer weder Mitglied in der Gewerkschaft sind, der Tarifvertrag auch nicht allgemeinverbindlich ist und auch im Arbeitsvertrag keine Bezugnahmeklausel vereinbart worden ist. Warum ist das so?
    Nehmen wir einmal an, der Arbeitgeber würde dem Arbeitnehmer Lohnerhöhungen nicht zahlen mit der Begründung, es besteht kein Anspruch, wenn er nicht Gewerkschaftsmitglied ist. Dann würde der Arbeitnehmer dazu motiviert werden, in die Gewerkschaft einzutreten. Klar, dass der Arbeitgeber daran kein Interesse hat. Denn in Unternehmen mit einem hohen Organisationsgrad kann die Gewerkschaft natürlich selbstbewusster – weil kampfstärker – auftreten.

    Die Gewerkschaften bezeichnen Arbeitnehmer, die in den Genuss von gewerkschaftlich erkämpften Tarifverbesserungen kommen, ohne mit Mitgliedsbeiträgen beigetragen zu haben, – meines Erachtens zu Recht – als „Trittbrettfahrer“. 

    Und nun zu den eher „unsicheren“ Tatbeständen, die zur Tarifbindung führen können: 
     
  2. Betriebliche Übung
    Betriebliche Übung bedeutet, dass ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer dauerhaft Leistungen gewährt, auf die der Arbeitnehmer eigentlich arbeitsvertraglich keinen Anspruch hat. Die Juristen unterscheiden zwischen dem Umstandsmoment (Leistung des Arbeitgebers) und dem Zeitmoment. Eine Leistung muss also schon einen gewissen Zeitraum lang gewährt werden. Dann entsteht aus dem Zusammenwirken von Umstands- und Zeitmoment ein Anspruch. In der Praxis finde ich es häufig schwierig, die dauerhafte Anwendung eines Tarifvertrages in dem Arbeitsverhältnis nachzuweisen. Deshalb bezeichne ich die betriebliche Übung als unsicheren Tatbestand. 
     
  3. Gleichbehandlungsgrundsatz
    Erhalten die Arbeitnehmer eines Betriebes ohne Tarifbindung tarifliche Leistungen, werden aber einige wenige aus sachwidrigen Gründen von solchen tariflichen Leistungen ausgenommen, kann sich ein Anspruch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben.
    Auch dies ist nach meiner Auffassung ein eher unsicherer Tatbestand. Man muss nachweisen, dass „alle anderen“ eine Leistung erhalten und dass es im eigenen Fall keinen sachlichen Grund für eine Ausnahme gibt. In der Praxis werden aber gern dann doch besondere Gründe vorgebracht. Da müsste ein Arbeitnehmer nun beweisen, dass diese eventuell nur vorgeschoben sind.