Tipps und Urteile 2015

Während einer Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit ist die Arbeitnehmerin nicht verpflichtet, an einem Personalgespräch teilzunehmen, das der Arbeitgeber anordnet
(Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 01.09.2015, Az. 7 Sa 592/14)
 

Der Arbeitnehmerin war eine Vertragsänderung angeboten worden. Der Sachverhalt des Urteils klingt danach, dass das kein Angebot „in Frieden“ gewesen ist. Die Arbeitnehmerin bat mit einer E-Mail am Morgen um eine Woche Urlaub, um sich bedenken zu können. Sie erhielt gegen Mittag eine harsche Antwort-E-Mail: „… Wir haben abgesprochen, dass ich heute ein Ja/Nein erhalte. …“ Das Schreiben schloss in neudeutsch: „Ich erwarte bis Mittwoch ein Go oder stand off.“ 

Zwei Tage später (20.03.2013) war die Arbeitnehmerin arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Arbeitsunfähigkeit dauerte etwas mehr als drei Monate. Ebenfalls am 20.03.2013 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2013. Die Arbeitnehmerin erhob eine Kündigungsschutzklage.
Die Arbeitgeberin lud die Klägerin dann zu mehreren Personalgesprächen ein. Eine Ladung erfolgte auf den 30.04.2013, eine auf den 06.05.2013, eine weitere auf den 10.05.2013. Die Arbeitnehmerin erschien zu keinem der Gespräche. Auf eine Anfrage der Arbeitnehmerin, was die Arbeitgeberin am 30.04.2013 besprechen wolle, hatte die Arbeitgeberin nicht geantwortet. Die Anwältin der Arbeitnehmerin fragte die Arbeitgeberin schriftlich nach dem geplanten Inhalt des für den 06.05.2013 geplanten Personalgesprächs. Auszug aus der Antwort der Arbeitgeberin:
„Im Rahmen des Personalgesprächs verlangen wir von Ihnen ja auch keine Arbeitsleistung, sondern lediglich die Teilnahme an einem Gespräch, zu der Sie arbeitsrechtlich auch verpflichtet sind.“ 

Zwischendurch gab es noch ein Schreiben der Arbeitgeberin, in dem die Arbeitgeberin die Rückzahlung von Vergütung für 13 Kalendertage forderte und der Arbeitnehmerin ankündigte, wegen der verspäteten Hereinsendung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und wegen unentschuldigten Fernbleibens vom angeordneten Personalgespräch vom 06.05.2013 werde die Arbeitnehmerin eine gesonderte Abmahnung erhalten.
Die Arbeitnehmerin erhielt dann auch eine Abmahnung wegen der Nichtteilnahme an dem Personalgespräch vom 06.05.2013. Nach der Nichtteilnahme der Arbeitnehmerin an dem Personalgespräch vom 10.05.2013 kündigte die Arbeitgeberin erneut, weil die Arbeitnehmerin an dem Personalgespräch nicht teilgenommen hatte. 

Das Arbeitsgericht Nürnberg erklärte beide Kündigungen für unwirksam.
Die Arbeitgeberin legte Berufung ein mit dem Ziel, die zweite Kündigung für wirksam zu erklären. Zur Begründung führte die Arbeitgeberin unter anderem an, in dem Personalgespräch habe sie Verhaltenspflichten mit der Arbeitnehmerin erörtern wollen.
Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat die Berufung zurückgewiesen. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hatte die Arbeitgeberin das ihr gemäß § 315 BGB, § 106 S. 1 GewO eingeräumte Weisungsrecht nicht nach billigen Ermessen ausgeübt, als sie die Arbeitnehmerin während ihrer Arbeitsunfähigkeit aufforderte, zu dem Personalgespräch zu erscheinen. In dem Urteil wird ausgeführt:
„Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. … Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Bewertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit.“ 

Eine Situation, wie sie in der Praxis leider nicht selten ist. Aus der Geschichte leuchtet ja direkt heraus, dass es der Arbeitgeberin nicht darum ging, das Verhalten der Arbeitnehmerin Hinblick auf ihre Arbeitspflichten zu verbessern. Welchen Sinn sollte denn ein solches Personalgespräch am 06.06.2013 im Hinblick darauf haben, dass die Arbeitgeberin zuvor das Arbeitsverhältnis schon zum 31.05.2013 gekündigt hatte?

Hier dürfte es eher darum gegangen sein, die Arbeitnehmerin zu bedrängen und zu demoralisieren. Der Arbeitgeberin hatte wohl gedämmert , dass die erste Kündigung vom 20.03.2013 unwirksam war, wollte aber die Arbeitnehmerin auf jeden Fall loswerden. 

Das gemeine an dieser Situation für die Arbeitnehmerin ist, dass ihr ein Arbeitsplatz- und Existenzverlust drohte. Der Arbeitgeberin hingegen drohte nur die Feststellung, dass sie sich bei der Anwendung der § § 315 BGB, 106 GewO vertan hatte. Eine sehr ungleiche Verteilung der Risiken!

Ich habe in vergleichbaren Situationen den von mir vertretenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ebenfalls immer geraten, an solchen Personalgesprächen nicht teilzunehmen.

Gegen das begrüßenswerte Urteil hat die Arbeitgeberin Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt.