Tipps und Urteile 2019
Wichtige Änderung für das deutsche Urlaubsrecht: Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer auffordern, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss ihn klar und rechtzeitig informieren, dass der Urlaub verfallen wird, wenn er ihn nicht nimmt. Wenn der Arbeitgeber nicht informiert und nicht aufgefordert hat, verfällt der Urlaubsanspruch nicht. (EuGH, Große Kammer, Urteil vom 06.11.2018, C 684/16)
Um dies Urteil verstehen zu können, muss man die bisherige Rechtslage nach deutschem Recht kennen:
Nach dem Bundesurlaubsgesetz erlischt ein Urlaubsanspruch am Ende eines Kalenderjahres. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr darf nur erfolgen, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen.
Wenn eine Übertragung auf das folgende Kalenderjahr erfolgt ist, muss der übertragene Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres genommen werden. Nach Ablauf dieser 3 Monate erlischt der Urlaub endgültig(§ 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz). Ist der Urlaubsanspruch erloschen, entsteht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung gemäß § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz.
Hat der Arbeitnehmer rechtzeitig Urlaub verlangt, der Arbeitgeber ihn aber nicht gewährt, so verliert der Arbeitnehmer zwar seinen Urlaubsanspruch. Er erwirbt jedoch einen Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber. Der Schadensersatzanspruch führt dazu, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Urlaub auch nach dem Verfall noch zu gewähren (BAG,Urteil vom 16.05.2017, 9 AZR 572/16). Alles hängt also nach deutscher Rechtslage vom Antrag des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber ab, ihm Urlaub zu gewähren: Wenn er keinen Antrag stellt, hat er keinen Anspruch auf Ersatzurlaub. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, ihm von sich aus Urlaub zu gewähren (BAG, Urteil vom 15.09.2011, 8 AZR 846/09).
Diese Rechtslage gilt nach dem Urteil des europäischen Gerichtshofes jetzt in Deutschland nicht mehr. Vorgeschichte des Falls: ein Arbeitnehmer hatte bei seinem Arbeitgeber (Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V.) eine Abgeltung für den Jahresurlaub, den er vor Beendigung seines Arbeitsverhältnisses nicht genommen hatte, verlangt. Bei dem Arbeitgeber war er bis zum 31.12.2013 beschäftigt gewesen. Er hatte noch Anspruch auf 53 Urlaubstage aus den Jahren 2012 und 2013. Der Arbeitgeber forderte ihn auf, seinen Urlaub vor Ende des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Er nahm 2 Urlaubstage in Anspruch. Für die restlichen 51 Urlaubstage machte er eine Urlaubsabgeltung geltend.
Nach der oben geschilderten deutschen Rechtslage wäre sein Anspruch verfallen gewesen. Der Arbeitnehmer hatte keinen Urlaubsantrag gestellt. Der Fall gelangte bis vor das Bundesarbeitsgericht. Dies legte den Fall dem europäischen Gerichtshof vor. Der europäische Gerichtshof wurde damit aufgefordert, zu entscheiden, ob (vereinfacht dargestellt, R.-C- B) die deutsche Rechtslage gegen Art. 7 RL 2003/88/EG und Artikel 31 Abs. 2 GRCh verstoße.
Nach der Entscheidung des europäischen Gerichtshofes muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordern, den Urlaub zu nehmen und ihm „… klar und rechtzeitig“ mitteilen, „dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird.“ Die Beweislast liegt nach den Ausführungen des europäischen Gerichtshofes bei dem Arbeitgeber. Wenn er nicht nachweisen kann, „… dass er mit aller gebotenen Sorgfalt gehandelt hat, um den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen, den ihm zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen“, ist es richtlinienwidrig, wenn der Urlaubsanspruch erlischt.
Der Arbeitnehmer, so der EuGH, sei nämlich als die schwächere Partei des Arbeitsvertrages anzusehen. Es müsse verhindert werden, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegen könne. Aufgrund dieser schwächeren Position könne der Arbeitnehmer davon abgeschreckt werden, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen. Denn insbesondere die Einforderung dieser Rechte könnte ihn Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken könnten (juris Rdnr. 41 des Urteils).
Tipp:
Als Arbeitnehmer können Sie Urlaub aus vergangenen Jahren noch geltend machen, auch wenn Sie keinen Urlaubsantrag gestellt haben. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses können Sie einen Abgeltungsanspruch für solche Jahre geltend machen.
Im Zusammenhang mit dem Urlaubsabgeltungsanspruch noch interessant: Urlaubsabgeltungsansprüche sind vererblich.
(eingestellt am 15.03.2019)