Tipps und Urteile 2019

Ein Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz kann auf eine Sozialplanabfindung angerechnet werden (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.02.2019, 1 AZR 279/17)
Sachverhalt:
Der Arbeitgeber hatte beschlossen, einen Betrieb komplett stillzulegen. Deshalb kündigte er die Arbeitsverhältnisse aller im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Er hatte zuvor keine Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan geführt.
Der Kläger verklagte daraufhin den Arbeitgeber auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs gemäß § 113 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz – mit Erfolg: der Arbeitgeber wurde vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg rechtskräftig verurteilt, an den Arbeitnehmer 14.307,20 € brutto zu zahlen.

Der Arbeitgeber zahlte diesen Betrag auch, verhandelte aber später noch einen Sozialplan mit dem Betriebsrat. Nach diesem Sozialplan standen dem Kläger 9000,00 € Abfindung zu. Mit einer neuen Klage verlangte der Arbeitnehmer jetzt von dem Arbeitgeber die Zahlung dieser 9000,00 €.
Der Arbeitgeber machte geltend, dass der Nachteilsausgleich, den er bezahlt hatte, auf den vom Arbeitnehmer geltend gemachten Sozialplananspruch anzurechnen sei. Dem Arbeitnehmer stünde also nichts zu.

Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht gab dem Arbeitgeber recht. Der Nachteilsausgleich ist demnach auf einen Sozialplanabfindungsanspruch anzurechnen. Der Kläger hatte unter anderem geltend gemacht, die Anrechnung des Nachteilsausgleichs verbiete sich wegen Art. 6 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL). Das Bundesarbeitsgericht vertritt die Auffassung, dass diese Regelung nicht bestimmt, dass Arbeitnehmer den Nachteilsausgleich auf jeden Fall und in voller Höhe neben einer Sozialplanabfindung fordern können.

Erläuterung /Tipp:
§ 113 Betriebsverfassungsgesetz ist eine allgemein weniger bekannte Vorschrift. Sie spricht Arbeitnehmern, die infolge eines Abweichens des Arbeitgebers von einem Interessenausgleich entlassen werden, einen Abfindungsanspruch zu. Dasselbe gilt nach Abs. 3 dieses Paragrafen, wenn der Unternehmer eine Massenentlassung oder eine andere Betriebsänderung durchführt, ohne einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Damit hat die Vorschrift nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen Sanktionszweck. Der Arbeitgeber soll dafür sanktioniert werden, dass er seine gesetzliche Beratungspflicht bei Betriebsänderungen nicht erfüllt hat. Daneben hat sie den Zweck einer Entschädigung von Arbeitnehmern, die entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden.

Sollten Sie im Rahmen einer Massenentlassung entlassen werden, ohne dass der Arbeitgeber einen Interessenausgleich versucht hat, so sollten Sie prüfen lassen, ob ein Anspruch auf Nachteilsausgleich besteht.
(eingestellt am 15.06.2019)