Tipps und Urteile 2019

Feuern um jeden Preis? - Entschädigungsanspruch für fingierte Kündigung eines unliebsamen Betriebsratsmitglieds Arbeitsgericht Gießen, Urteil vom 10.05.2019, Aktenzeichen 3Ca 433/17
Eine unglaubliche Geschichte. Eine auf ARD ausgestrahlte Fernsehreportage aus dem Jahr 2017 mit dem Titel „Die Rausschmeißer – Feuern um jeden Preis“, in der es um die Arbeitsweise eines aus Presseberichten bekannten Rechtsanwalts ging, berichtete unter anderem davon.

Die Ausgangsgeschichte spielte im Jahr 2012 in einem Pflegeheim. Die Klägerin des vorliegenden Prozesses war bereits seit 2007 Betriebsratsmitglied und war stellvertretende Vorsitzende. Es war zu tief greifenden Konflikten mit der Geschäftsführung gekommen.

So kam es zur Verabredung eines Gesprächs am „Flughafen D“ (so das Urteil), wo die Geschäftsführerin des Unternehmens sich mit dem Zeugen C und „einem Rechtsanwalt“ traf. Es wurde in dem Gespräch vereinbart, dass betriebsfremde Personen in dem Pflegeheim eingesetzt werden sollten. Es wurden dort 3 Personen eingesetzt, unter anderem der spätere Zeuge C, der seinen Kollegen in dem Pflegeheim als Leiharbeitnehmer vorgestellt wurde. Er war vom 23.01.2012 bis zum 28.01.2012 im Einsatz.

In der Nacht vom 27. auf den 28.01.2012 versuchte der Zeuge, seine „Kollegen“ zum Alkoholkonsum zu verleiten, obwohl im Betrieb Alkoholverbot bestand. Er regte an, auf seinen letzten Arbeitstag ein Glas Sekt zu trinken. Während einer Zusammenkunft im Aufenthaltsraum erschien das Management dort. Ob die Klägerin Alkohol zu sich genommen hat, ist strittig. Die weiteren 2 in den Betrieb eingeschleusten Personen behaupteten, die damalige Betriebsratsvorsitzende habe am 15.02.2012 einen von ihnen geschlagen. Die Betriebsratsvorsitzende veranlasste die Klägerin (und stellvertretende BR-Vorsitzende), fehlerhaft anzugeben, sie sei bei dem Vorfall anwesend gewesen und könne die Version der Betriebsratsvorsitzenden, die erklärte, niemanden geschlagen zu haben, bestätigen. Die Klägerin trat von dem Betriebsratsamt zurück.
Sie war danach weiterhin als Arbeitnehmerin beschäftigt. Die Klägerin hat erst durch die Fernsehreportage davon erfahren, dass der Zeuge C eine eingeschleuste Person war. Deshalb war ihr Anspruch auch noch nicht verjährt. Sie verklagte die beiden an dem Betrieb des Heims beteiligten Firmen sowie den Rechtsanwalt auf Zahlung einer Entschädigung von mindestens 20.000 €.

Das Gericht hat im vorliegenden Fall den Zeugen C vernommen. Er schilderte, dass das Ziel des Fremdpersonaleinsatzes der eingeschleusten Personen war, die Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis und aus dem Betriebsrat zu entfernen. Aufgrund der Aussage des Zeugen C war die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Gießen davon überzeugt, dass die Geschäftsführerin der 2 Firmen, die das Pflegeheim führten bzw. dort eingesetzte Arbeitnehmer beschäftigten, und der Rechtsanwalt 3 Personen in den Betrieb einschleusten, um Kündigungssachverhalte zu bekommen. Das Gericht war weiter davon überzeugt, dass es der Geschäftsführerin und dem Rechtsanwalt nicht darauf ankam, ob der Klägerin tatsächlich Fehlverhalten nachzuweisen sein würde. Im Bedarfsfall sollte nach der Überzeugung des Gerichts kündigungsrelevanter Sachverhalt erfunden oder sogar die Klägerin zu vertragswidrigem Verhalten veranlasst werden.

Das Gericht sah in dem verabredeten und durchgeführten Einsetzen von Spitzeln auf die Klägerin und der wenigstens versuchten Verleitung der Klägerin zum Alkoholkonsum eine erhebliche Persönlichkeitsrechtsverletzung, die zu entschädigen ist. Es orientierte sich an den Angaben der Geschäftsführerin. Diese hatte nach ihren Angaben an eine Person, die der Rechtsanwalt ihr vermittelt hatte, einmal 30.000 € und einmal 10.000 € oder 15.000 € gezahlt. So erschien es dem Gericht sachgerecht, „von diesem Gesamtbetrag (…) die Hälfte anzusetzen“ und verurteilte die beiden Firmen sowie den Rechtsanwalt als Gesamtschuldner, 20.000,00 € an die Klägerin zu zahlen.

Bewertung:
Gegen professionelle Lügner, die nicht nur falsch aussagen, sondern sogar Kündigungssachverhalte selbst kreieren, kann man sich im Ernstfall nur schwer wehren. Die Klägerin hat großes Glück gehabt, dass der Zeuge C hier nicht weiter mitgemacht hat.

Ich habe mir die Fernsehreportage selbst angesehen. Ein Rechtsanwaltskollege, der schon öfters mit dem hier in Rede stehenden Rechtsanwalt zu tun hatte, berichtete, dass es keiner besonderen juristischen Raffinesse bedarf, um Prozesse auch zu gewinnen. Das Gemeine ist aber, dass solche Prozesse für die Betroffenen einen Nervenkrieg bedeuten. Ich meine, die Herstellung von Öffentlichkeit hilft in solchen Fällen. Bei dem Pflegeheim beispielsweise müssen doch die potentielle Kundschaft und Geschäftspartner sich fragen, ob die Geschäftsführung sich gegenüber den Bewohnern ebenso verhält wie gegenüber ihren Arbeitnehmern.

Tipp:
Hier ist es ganz besonders wichtig, die Ruhe zu bewahren. Sie sollten sich, wenn solche fingierten Geschichten aufkommen, auf keinen Fall spontan dazu äußern. Sie sollten zu Gesprächen mit der Geschäftsführung immer ein Betriebsratsmitglied mitnehmen. Auch ist dringend anzuraten, dass Sie sich an einen Rechtsanwalt wenden.
Denken Sie nach Möglichkeit immer den Beweis mit. Damit meine ich: Versuchen Sie, dafür zu sorgen, dass Sie möglichst den wahren Sachverhalt beweisen können. Gibt es Zeugen, denen Sie vertrauen können, für bestimmte Vorfälle? Gibt es verräterische Schriftstücke? Überlegen Sie immer, was Sie zur Beweissicherung tun können. Machen Sie sich über besondere Vorfälle Notizen, bei denen Sie Ort, Zeit und mögliche Zeugen notieren.
Greifen Sie dabei aber auf keinen Fall selbst zu unzulässigen oder gesetzwidrigen Mitteln.

(Eingestellt am 15.08.2019)